Mobilität in den Zeiten nach Corona

Manche sind ja davon überzeugt, dass es ein besonders aggressiver Grippevirus war, der die Weltwirtschaft zum Stehen gebracht und dafür gesorgt hat, dass elementare Freiheitsrechte ausgesetzt wurden. Andere gehen davon aus, dass hinter all dem ein weltweiter Masterplan steht und wir alle von dunklen Kräfte versklavt werden sollen. Doch eines ist sicher: Der Shutdown hat vieles verändert und das nicht nur vorübergehend. Nicht nur die Arbeitswelt, auch der Tourismus hat Impulse bekommen, die dauerhaft Wirkung zeigen werden.

Der Shutdown vom Frühjahr 2020 hat die Tourismus-Branche ganz besonders hart getroffen. Die Ostersaison fiel komplett ins Wasser. Nicht nur alle Hotels waren geschlossen. Auch Ferienwohnungen durften nicht vermietet werden und selbst wer eine eigene Ferienwohnung hatte, durfte sein Eigentum nicht nutzen. Der Sinn dahinter war äußerst fragwürdig, aber die Folgen waren dramatisch. 

Auch die Flucht ins Ausland war nicht möglich. Die Ferienflieger blieben am Boden und Mallorca war genauso wenig erreichbar, wie die anderen Feriendestinationen. Pauschalreisen gab es praktisch nicht mehr. Wer etwas gebucht hatte, musste monatelang auf sein Geld warten oder erhielt einen Gutschein, den er vielleicht irgendwann einmal einlösen kann. 

Nur für eine Branche zeigte sich Corona als wahrer Glücksbringer. Die Hersteller von Caravans und Reisemobilen erlebten im Corona-Jahr 2020 einen Nachfrageschub wie noch nie zuvor. Schon im ersten Halbjahr war der Umsatz rekordverdächtig. Im Juli explodierten die Neuzulassungen von Freizeitfahrzeugen geradezu und erreichten ein Plus von satten 85,6 Prozent. Das meldete der Caravaning Industrieverband und verwies auf über 70.000 Neuzulassungen seit Jahresbeginn. Mit einem Plus von 15 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum erreichte die Branche damit den besten Wert in ihrer gesamten Geschichte. Und das, obwohl sie gezwungen worden war, die Produktion in den entscheidenden Monaten für mehrere Wochen stillzulegen. 

Bei den Caravans war es nicht anders. Hier kletterten die Neuzulassungen um fantastische 61,7 Prozent auf 5.169 Einheiten. Das war das mit Abstand beste Ergebnis seit fast 20 Jahren. 

Reisen ist eben ein wichtiges Urbedürfnis des Menschen. Nicht ohne Grund wird ja auch an der bestehenden Reisefreiheit gemessen, ob ein Land zur freien Welt gehört oder eher nicht. Wenn ein Land diese Freiheit einschränken will, ist das eine äußerst bedenkliche Situation. Und es ist nur natürlich, dass die Menschen nach Wegen suchen, um diesen Einschränkungen auszuweichen und lästige Verbote zu umgehen. Das ist ganz besonders dann der Fall, wenn diese Einschränkungen als überzogen, widersprüchlich oder gar unsinnig empfunden werden. 

Zehntausende haben 2020 den Caravan oder das Reisemobil entdeckt, um sich ein Stück der Reisefreiheit zurückzuholen, die ihnen genommen wurde. Sie informierten sich gegenseitig über die sozialen Medien und wichen aus, wenn mal wieder irgendwo ein „Hotspot“ ausgerufen wurde. Denn wer mit dem eigenen Caravan und Reisemobil in den Urlaub fährt, muss schließlich nicht Monate im voraus buchen, sondern kann sich noch kurz vor der Abreise entscheiden, wo es hingehen soll. 

Wie gesagt, allein 2020 sind Zehntausende hinzugekommen, die lieber mit dem eigenen mobilen Urlausbsdomizil auf Reisen gehen, anstatt sich eine Ferienwohnung zu nehmen. Die meisten von ihnen werden vermutlich nie wieder daran denken, in einer Ferienwohnung Urlaub zu machen und den gesamten Urlaub an einem Ort zu verbringen. Genauso, wie sie auch für die Hotellerie als Zielgruppe ausfallen. 

Hotel-Neubauten wird es ohnehin für eine ganze Weile kaum noch geben. Ganz im Gegenteil. Der staatlich forcierte Zwang, im eigenen Land Urlaub zu machen, hat zwar viele Hotels über den Sommer 2020 gerettet. Aber spätestens, wenn die staatlichen Fördergelder ausgelaufen sind, wird sich zeigen, wer überlebensfähig ist und wem nur noch der Weg in die Insolvenz bleibt. 

Wobei der Sommer 2020 gezeigt hat, dass sich das veränderte Urlaubsverhalten für so manche Ferienregion zu einem ernsten Problem entwickelt. Momentan reagieren die Gemeinden zwar noch auf die üblich primitive Art und stellen einfach Verbotsschilder auf, um die immer größer werdenden Zahl an Reisemobilen zu verdrängen. Doch wer in Travemünde keinen Standplatz findet, der fährt eben ein paar Kilometer weiter und sucht sich einen Urlaubsort, der Wohnmobil-Urlauber freundlicher aufnimmt. Wie gesagt, Wohnmobilfahrer sind bestens vernetzt und tauschen ihre Erfahrungen bereitwillig aus. 

Wobei man die Demoskopie nicht aus dem Auge verlieren darf. Die Mehrheit der heutigen Wohnmobilisten zählt zur Generation 60 plus. Doch die nächste Generation rückt bereits nach und die hat höchst individuelle Vorstellungen, was die Gestaltung ihres Urlaubs angeht. Pauschalurlaub und Massentourismus sind hier eher verpönte Begriffe, Malle ist etwas für die Prolls und Fernreisen scheitern in einer Zukunft immer höherer Steuern und Abgaben eher am noch verfügbaren Budget. 

Da sind Wohnwagen und Wohnmobil genau die richtige Basis für einen Urlaub nach eigenen Vorstellungen. Damit ist man flexibel und muss nicht schon an Weihnachten den nächsten Sommerurlaub planen. Man bewegt sich mitten im eigenen Wohnzimmer über die Straßen Europas und ist nicht an stressige Bahn- oder Flugreisen angewiesen. Man kann sich selbst versorgen und muss nicht jeden Tag mit der ganzen Familie ins Restaurant gehen. Man ist auf eigene Faust unterwegs und kann bevorzugt die Gegenden anfahren, wo nicht schon all die anderen sind. 

Wobei auch die zunehmende Urbanisierung diesen Trend beschleunigt. Immer mehr Menschen wohnen in der Großstadt. Besonders die Jüngeren von ihnen besitzen mittlerweile gar kein Auto mehr, mit dem man ohnehin nur langsam vorankommt und am Ende keinen Parkplatz findet. Immer mehr von ihnen haben jedoch ein Wohnmobil oder zumindest einen Camper. Damit kann man nämlich zumindest am Wochenende dem Stress der Stadt entfliehen und sich an ein schönes Fleckchen Natur zurückziehen. Hier in Norddeutschland kann man sie jeden Freitagabend in Scharen beobachten: Wohnmobile auf dem Weg zu einem Wochenende an der Küste, in der Heide oder im Harz.

Auch die Digitalisierung hat das Leben verändert und dafür gesorgt, dass viele Jobs heute praktisch an jedem Ort der Welt erledigt werden können. Software, Webdesign und Webcontent zum Beispiel erfordert nicht viel mehr als einen Notebook und einen Zugang zum Internet. Das steht auch im Home Office zur Verfügung. Oder man fährt einfach los und arbeitet da, wo es gerade am Schönsten ist. Ein Webdesigner aus Hannover wurde erst von Corona ins Home Office vertrieben. Daran hat er sich mittlerweile gewöhnt und sieht keinen Grund mehr, jeden Tag die stressige Rush Hour auf sich zu nehmen, nur um zu seinem Arbeitsplatz in der City zu kommen. Momentan denkt er über den Kauf eines Wohnmobils nach. Dann könnte er nämlich im Sommer sein Domizil nach Fehmarn verlegen und immer dann das Surfboard herausholen, wenn gerade der Wind günstig ist. Wer sagt denn, dass es zwischen Arbeitszeit und Freizeit scharf gezogene Grenzen geben muss?

In vielen Ländern Europas zählen Mobile Homes zum alltäglichen Anblick und unzählige Menschen leben ganzjährig in so einem Haus auf Rädern. In Deutschland ist das zwar - wie so vieles - verboten. Aber dennoch gibt es Möglichkeiten. Zum Beispiel für Menschen mit ständig wechselnden Arbeitsplätzen. Ein Vertriebsingenieur für Automationssysteme hatte es satt, ständig quer durchs Land zu reisen und immer wieder wochenlang im Hotel zu leben. Heute fährt er mit dem Wohnwagen von einem Projekt zum anderen, spart viel Geld und Zeit und wohnt da, wo andere ihre Freizeit verbringen. 

Manchmal braucht man eben einen Anstoß von außen, um auf neue Gedanken zu kommen und eingefahrene Lebenswege zu verlassen.