BDSM: Machtspiele an dunklen Orten

Sie lieben es in Schwarz und Leder und das durchaus auch im Alltag. Doch erst am Samstagabend blühen sie so richtig auf. Dann tauchen sie ein in eine bizarre Welt, die man sonst bestenfalls von alten Kinofilmen kennt. Sie treffen sich im Dungeon am Stadtrand und leben ihre Phantasien aus, die sie vor Verwandten und Nachbarn besser verborgen halten. Sie stehen auf BDSM und erst seit „Shades of Grey“ weiß der Normalo, was das eigentlich ist.

Es ist ein unscheinbarer Ort in einem wenig attraktiven Industriegebiet. Tagsüber ist hier nichts los und nur wer sich die Mühe macht, das Türschild zu lesen, bekommt eine Ahnung davon, was hier abgeht. Der Insider ist sofort im Bilde und weiß die beiden Buchstaben SM richtig zu deuten. Sie stehen für Sadismus und Masochismus und damit für eine Spielart der Sexualität, die bei den Einen lautstarke Entrüstung und bei den Anderen verhaltene Neugier auslöst. Eine Variante davon ist BDSM, wobei die ersten beiden Buchstaben für Bondage stehen, also für Fesselungsspiele der fantasievollen Art.

Besonders in Japan gilt Bondage als Kunst und es gibt Männer, die sich bis zur Meisterschaft darin üben. Ziel ist es, eine Frau so zu fesseln, dass sie jeglicher Bewegungsfreiheit beraubt ist. Die Kunst besteht darin, es auf eine sowohl wirksame als auch ausgesprochen ästhetische Art und Weise zu tun. Manchmal geht es darum, sie so zu immobilisieren, dass sie ihm willenlos zur Verfügung steht. Manchmal ist es schlicht die Fesselung einer Skavin, die es zu bestrafen gilt. Nicht selten ist jedoch schon allein der Anblick des ausgelieferten Körpers Befriedigung genug.

Sobald es dunkel wird, erwacht Leben auf dem Parkplatz vor dem verschwiegenen SM-Club. Auf eine schreiende Leuchtreklame haben die Besitzer des Etablissements bewusst verzichtet. Die brauchen sie schlicht und einfach nicht, denn die Szene ist überschaubar und wer auf SM steht, kennt die Adresse.

Es sind ausschließlich Pärchen, die hier aufkreuzen und die Palette der parkenden Autos reicht vom kleinen Golf bis zur Luxusklasse. Sexualität ist eben klassenlos und auch die etwas außergewöhnlichen Varianten davon haben wenig mit reich oder arm, gebildet oder nicht zu tun. Fast alle tauchen als Pärchen auf und nicht wenige sehen so normal aus, dass man sich fragt, was die hier zu suchen haben.

Doch die eigentliche Verwandlung findet drinnen statt. Da wird der Versicherungsvertreter von nebenan zum eleganten Herren im feinen Anzug, der direkt von der Mafia zu kommen scheint. Und der kleine Sachbearbeiter mutiert zum maskulinen Kerl im hautnahen Lederoutfit. Bei den Damen hingegen ist vor allem sparsame Kleidung angesagt. Besonders strenge Herren bestehen darauf, dass sie den Abend nackt an seiner Seite verbringt. Fast alle legen jedoch ihrer Begleiterin ein Halsband an. Sklavinnen muss man schließlich an der kurzen Leine halten. Und man muss dafür sorgen, dass sie sich ordentlich benehmen.

Für diesen Zweck trägt der Herr des Abends gerne eine Reitgerte bei sich. Schon ein leichtes Schnippen auf ihre Schenkel genügt, um sie an ihre Rolle zu erinnern. Und wenn sie Anzeichen von Widerspenstigkeit erkennen lässt, kann man immer noch in eine der Orte gehen, die extra dafür vorgesehen wurden, um eine ungehorsame Sklavin artgerecht zu züchtigen. Dort liegen auch die mehrschwänzigen Riemenpeitschen bereit, die in diesen Kreise sehr beliebt sind. Sie brennen ordentlich auf der Haut, erzeugen aber keine dauerhaften Spuren, die im Alltag vielleicht hinderlich sein könnten. Ein renitentes Weib muss man einfach züchtigen, so die gängige Meinung und der Vorgang findet meist zahlreiche Zuschauer, die zustimmend mit dem Kopf nicken und ein zufriedenes Grinsen auf den Lippen tragen.

Wer jetzt Entrüstung zeigt, hat die menschliche Psyche nicht verstanden. Unsere auf den ersten Blick gewaltlose westliche Welt steht nämlich in Wirklichkeit auf recht wackligen Füßen. Denn während der Feminismus als Ideal propagiert wird, sieht die Wirklichkeit oft ganz anders aus. Hinter so mancher Reihenhaus-Fassade herrscht ein Despot, der tagsüber ein unbedeutendes Leben an irgend einem Schreibtisch führt und nach Feierabend den Familientyrannen spielt. Würde er nicht die gesellschaftliche Ächtung fürchten, hätte vermutlich auch er eine Reitgerte im Haus, um die Seinen in Zucht und Ordnung zu halten. Vor hundert Jahren war das noch alles andere als die Ausnahme. Eine kleine Recherche offenbart, dass der Ehemann noch bis in die 60er Jahre hinein das Recht hatte, seine Frau zu züchtigen, wenn er es dabei nicht übertrieb. Ein Recht, das im weitaus größten Teil dieser Erde noch immer fest im Denken der Menschen verankert ist.

Steckt also in jedem Mann uns ein kleiner Sadist, der nur die passende Gelegenheit braucht, um freigelassen zu werden? Der Gedanke liegt durchaus nahe? Vor zwei, drei Generationen gab es noch keine SM-Clubs. Mit Sadomaso wusste damals niemand etwas anzufangen und auch das Kürzel BDSM war noch nicht erfunden. Wer damals der Herr im Hause sein wollte, fand problemlos eine passende Frau fürs Leben. Gehorsam galt seinerzeit als das Kennzeichen eines gut erzogenen Mädchens. Und gut erzogen hieß streng erzogen und dabei spielte der Rohrstock, die Rute oder der Lederriemen eine entscheidende Rolle. Wobei für einen Ehemann wenig dagegen sprach, einen Teil dieser Erziehung wieder aufzufrischen, falls des der jungen Ehefrau an Fleiß und Hingabe mangeln sollte. Schließlich besaß er genau dieselben Rechte, die einst ihr Vater wahrgenommen hatte.

Aber auch die umgekehrte Frage muss erlaubt sein: Steckt in jeder Frau eine heimliche Masochistin, die es geradezu darauf anlegt, von ihrem Mann in die Schranken verwiesen zu werden? Psychologen kennen zumindest eine Analogie, die zu denken gibt. Streng erzogene Mädchen fühlen sich vermehrt zu Männern hingezogen, die ausgeprägt autoritäre Züge tragen und es nicht bei einer Ohrfeige belassen, falls sie gegen ihn aufbegehren sollte. Ein „richtiger Mann“ ist für viele Frauen – vielleicht insgeheim für die meisten –  noch immer einer, der weiß was er will und seinen Willen durchzusetzen versteht. Genau das ist jedoch auch derjenige, der nicht lange fackelt, wenn sie sich querstellt und das Problem mit der flachen Hand, wenn nicht sogar mit seinem Ledergürtel löst.

In den Notaufnahmen des Landes kennt man das Bild. Eine Frau wird mit heftigen Blutergüssen eingeliefert und behauptet, sie wäre lediglich unglücklich gefallen. Jeder weiß, sie hat eine heftige Tracht Prügel bezogen und niemand ist überrascht, wenn der Betreffende Tage später mit einem riesen Blumenstrauß auftaucht und seine glücklich lächelnde Frau wieder nach Hause führt. Er hat ihr weh getan, doch sie liebt ihn abgöttisch und könnte ohne ihn nicht leben. Schließlich ist er ihr Mann. Er beschützt sie und sorgt für sie und hat damit das Recht auf ihren Gehorsam.

Was uns wieder in den SM-Club zurückführt. Auch dort findet man vor allem Pärchen. Die anwesenden Frauen sind meist recht jung und sehen nicht aus, als hätte man sie dazu gezwungen, hierher zu kommen. Manche von ihnen tragen einen O-Ring als Zeichen ihrer heimlichen Rolle als die devote Frau eines dominanten Mannes. Den entdecken Insider sofort, wenn sie ihr auf dem Amt, im Supermarkt oder im Café begegnen. Und sie wissen, aha, das ist also auch eine, die sich darin gefällt, ihrem Mann die Frau zu sein, die seinem Naturell entspricht. Vielleicht muss sie ihn am Abend bedienen, wie er es von einer Sklavin erwartet. Die eine oder andere trägt vielleicht auch Striemen am Körper und schämt sich dafür, ihm keine gehorsame Frau gewesen zu sein. Denn wir können zwar sehen, was es zu sehen gibt. Aber wir wissen nicht, was sich in den Tiefen der Gedanken abspielt.

Unglücklich wirken sie allerdings nicht, die heimlichen Os. Weder nachts an jenem verschwiegenen Ort im Industriegebiet noch tagsüber mitten unter uns. Denn Glück hat nicht immer mit Freiheit zu tun, mit Selbstverwirklichung, mit materiellem Erfolg. Dafür aber für manche Frau viel mit dem Verlangen, ihren Platz im Leben zu finden, in die richtigen Hände zu geraten und sich aufgehoben zu fühlen. Und für manchen Mann mit dem guten Gefühl, sein Mannsein ausleben zu können, ohne sich dafür rechtfertigen zu müssen. Denn offensichtlich gibt es auch ein Frausein, das eher feminin als feministisch ist. Auch wenn man darüber lieber nicht redet und auch in den Mainstream-Medien keine idealisierenden Artikel findet.