Alter: Von alten Damen und älteren Herrn

Neulich beim Becker. Eigentlich wollte ich am Strand frühstücken und vorher noch ein paar Brötchen holen. Es war ja Sommer, das Wetter war angenehm und es gibt für mich wenig Schöneres, als eine Runde schwimmen und ein deftiges Frühstück mit Blick aufs Meer. Was meinen Tatendrang zunächst dämpfte, waren rund zehn ältere Frauen, die vor mir in der Schlange standen. Denn ich wusste, das kann jetzt dauern.

Ich weiß ja normalerweise, weshalb ich zum Bäcker gehe. Zwei Kornknacker, zwei Baguette-Brötchen und zwei Mohnhörnchen. Wenn keine Mohnhörnchen im Korb liegen, weiche ich auf Laugenstangen aus. Oder eben was anderes. Das kann ich aber schon vorher sehen und bis ich dran bin ist meine Ansage klar. Eingeleitet mit dem Hinweis, wie viele Brötchen ich will, damit die freundliche Dame gleich zur richtigen Tüte greift.

Ältere Damen sehen das anders. Sie warten ungeduldig, bis sie dran sind. Aber wenn das schließlich der Fall ist, haben sie alle Zeit in der Welt, um ihre Wünsche zu artikulieren.

„Haben Sie Baguette-Brötchen?“ Klar Alte, das siehst du doch.

„Gut, dann geben Sie mir zwei Baguette-Brötchen. Die Verkäuferin greift in den Korb.

„Ach nein, geben Sie mir bitte ein Baguette und in Roggen.“ Die Verkäuferin verzieht keine Miene, sie kennt das Spiel.

„Ach ja und noch zwei Croissants, die waren letztes Mal so gut.“ Die Verkäuferin reagiert genervt, aber nur eine Sekunde lang. Dann holt sie die Brötchen wieder aus der Tüte, nimmt eine größere und wendet sich der Kasse zu. Die ältere Dame beginnt in den Tiefen ihrer Stoff-Einkaufstasche zu kramen, in der sie Gekaufte nach Hause zu tragen gedenkt. Wie durch ein Wunder findet sie ihr Portemonnaie. Sie öffnet es.

„Wie viel sagten Sie.“

Der gewünschte Betrag wird wiederholt. Er steht übrigens auch groß und deutlich auf dem Display der Kasse. Sie inspiziert ihr Kleingeld fach und zählt eine Münze nach der anderen den Betrag auf den Tisch. Aber zum Schluss muss sie passen. Es fehlen zehn Cent. Also sammelt sie das Blech wieder ein und holt stattdessen einen 20-Euro-Schein hervor.

„Ich hab‘s leider nicht kleiner,“ lautet die Entschuldigung.

Die Verkäuferin sagt etwas Freundliches. Sie wartet geduldig, bis Portemonnaie und Brötchen sorgfältig in der Tasche verstaut sind und wirft einen fragenden Blick auf die Nächste in der Schlange.

Ich wohne in einem Seebad an der Ostsee. Hier haben sich viele ältere Leute eine Wohnung gekauft, um direkt am Wasser ihren Lebensabend zu verbringen. Die Männer sind ganz OK. Aber die Frauen gehen mir nur auf die Nerven. Die meisten zumindest. Nicht nur, weil sie ziemlich rechthaberisch auftreten. Sondern vor allem, weil sie eigentlich immer im Weg sind. Im Supermarkt lassen sie ihren Einkaufswagen so stehen, dass ich ihn erst zur Seite schieben muss, um passieren zu können. Auf der Promenade regen sie sich über die Kids auf, die ihren Bewegungsdrang ausleben. Auf dem Fahrrad geht man ihnen am besten weiträumig aus dem Weg. Nicht nur, dass sie ständig im falschen Gang fahren und selbst bei der leichtesten Steigung außer Puste geraten. Sie brauchen auch die gesamte Breite des Radwegs und sind ungehalten, wenn man sie mit einem dezenten "Ping" darauf aufmerksam machen will, dass man gerne überholen möchte. 

Bei den Männern unterscheidet man eigentlich nur zwei Klassen: die Verbiesterten und die Rüstigen. Männer altern irgendwie anders. Sie melden sich noch mit 70 beim Fitness an, kaufen sich einfach ein Pedelec, wenn Fahrrad fahren am Berg Probleme macht und müssen sich nicht selten ausweisen, weil man ihnen nicht abnimmt, dass sie Anrecht auf ein Seniorenticket haben.

Und beim Bäcker wissen Sie, weshalb sie hergekommen sind.

Ich meine, die Gründe für den Unterschied zwischen Mann und Frau zu kennen. Die Frauen, die heute im Rentenalter sind, haben meist ein Leben als Hausfrau geführt oder bestenfalls irgendwo im Büro gearbeitet. Ihre geistigen Fähigkeiten waren dabei recht wenig gefordert und es ist eben die vorhandene Substanz, von der man im Alter abbaut. Wenn da nie viel war, bleibt später ziemlich wenig übrig.

Doch es gibt auch einen körperlichen Aspekt, der den Alterungsprozess von Männern und Frauen grundlegend unterscheidet. Es gibt zwar nicht wenige absolut hässliche Frauen. Aber die meisten bewegen sich doch irgendwo zwischen ganz hübsch, hübsch und zumindest ansehnlich. Mit zwanzig sehen Letztere so aus, dass sie Männern zumindest einen Blick wert sind. Schon mit dreißig trennt sich jedoch die Spreu vom Weizen. Die einen kriegen Kinder und gehen danach auf wie Kuchenteig. Blicke folgen ihnen dann keine mehr. Denjenigen, die noch regelmäßig gefickt werden, sieht man es auch an und ihre Weiblichkeit hat irgendwie etwas Strahlendes, Zufriedenes. Die anderen kriegen den bösen Blick. Sie welken und frustrieren vor sich hin oder werden Emanzen. Meist vernachlässigen sie ihr Äußeres und sind irgendwann nur noch in der Gesellschaft von Ihresgleichen zu sehen.

Frauen über vierzig, denen noch männliche Blicke folgen, sind eine seltene Ausnahme. In den Fünfzigern werden sie zur absoluten Rarität und danach – vergessen wir‘s.

Das ist nicht bös gemeint. Das ist einfach Realität. Es ist die Ungerechtigkeit der Natur und es ist wohl Teil der Biologie, die Mann und Frau voneinander entscheidet.

Auch Männer verändern sich natürlich im Laufe der Jahrzehnte. Sie entwickeln eindrucksvolle Bäuche, wenn sie körperlich nicht aktiv sind. Aber selbst das macht die meisten von ihnen nicht unbedingt unansehnlich. Vielen fallen schon mit vierzig die Haare aus, bis sich die Stirn fast bis zur Kopfmitte hinzieht. Oder sie entwickeln ganz eigene Krankheiten, weil der berufliche Stress eben seine Konsequenzen zeigt.

Doch ein Mann in den Fünfzigern ist immer noch eine stattliche Erscheinung. Na ja, nicht alle, aber die meisten durchaus. Nicht wenige von ihnen wollen es vor der Midlife Crisis unbedingt noch einmal wissen und fangen mit einer neuen Frau ein neues Leben an. Wobei diese gerne zwanzig Jahre jünger sein darf. Denn ein Mann in der Mitte des Lebens hat es durchaus noch drauf und eine Frau in den Dreißigern ist meist noch heiß genug, um es auch schätzen zu können.

Selbst in den Sechzigern sind Männer noch lange nicht auf dem Abstellgleis. Unzählige von ihnen sehe ich jeden Morgen joggen. Andere fahren selbstverständlich mit dem Rad zum Einkaufen. Und ein paar ganz toughe schwimmen selbst im Oktober noch im Meer, wenn andere noch nicht einmal mit den Füßen reingehen. Die stehen dann auch selbstbewusst am FKK-Strand und jeder weiß, da geht noch was. Nur an den gleichaltrigen Frauen zeigen sie kein Interesse. Dafür setzen sie die dunkle Sonnenbrille auf, wenn siech einmal eine Jüngere auf den FKK-Strand verirrt hat (die sind nämlich hier ausgesprochen selten).  Eine die noch einen straffen Po ohne Dellen zeigt und mit jedem Schritt dokumentiert, dass ein sportliches Leben eben doch seine Vorteile hat. 

Eine alte Frau ist eben nur das: eine Alte Frau, die ihr Leben gelebt hat und hoffentlich einigermaßen gute Erinnerungen daran hat. Trägt sie es mit Würde und Stil, begegnet man ihr mit Zuvorkommenheit, weil man realisiert, dass sie vermutlich schon achtzig ist und es ihr gönnt, noch ein paar lebenswerte Jahre zu verbringen. Hat jedoch er dieses Alter erreicht, ist er entweder der tattrige Greis, den die Lebensgeister längst verlassen haben. Oder er zählt zu den aktiven Alten und plant gerade den nächsten Wanderurlaub in den Alpen, um unter Seinesgleichen zu sein.

Anders gesagt: Das Leben einer Frau ist eigentlich recht kurz. Ich meine, der Abschnitt, den man wirklich mit allen Sinnen genießen kann. Die meisten hören mit vierzig auf, Frau zu sein, wenden sich der Esoterik zu oder engagieren sich irgendwo für irgendwas. Männer haben es da schon besser. Ihr aktives Leben dauert wesentlich länger und wenn irgendwann der Körper nicht mehr kann, was die Lust gerne würde, gibt es ja immer noch die kleinen blauen Pillen.

Aber das verraten wir natürlich niemand.