Warum halten Beziehungen und andere nicht?

Eigentlich ist der Prozess immer der gleiche. Man lernt sich kennen. Man findet sich sympathisch. Man liebt sich. Man verbringt die Wochenenden miteinander. Man zieht zusammen. Für ein paar Wochen, Monate oder gar Jahre ist alles in Ordnung. Und dann geht alles irgendwie zu Ende. Man streitet sich immer häufiger. Man findet den Anderen (oder die Andere) unerträglich. Man hat immer seltener Lust aufeinander. Man trennt sich und jeder geht wieder seine eigenen Wege.

Ich habe das selbst schon mehrmals erlebt und ich habe es bei anderen beobachtet. Wenn man die Betreffenden fragt – ganz gleich ob Mann oder Frau – klingen die Antworten immer gleich:   „Irgendwie war die Luft raus,“ heißt es da. „Das Zusammenleben war nur noch eine Folge von Gewohnheiten und wir sind uns nur noch gegenseitig auf die Nerven gegangen.“ Wo es früher Leidenschaft im Bett gab, fand am Ende nur noch ein festes Ritual statt, das zu festen Zeiten und immer auf die gleiche Art und Weise erfolgte.

Ich habe allerdings an mir selbst und an anderen festgestellt, dass es meist die kleinen, nervenden Angewohnheiten des Anderen sind, die irgendwann unerträglich werden. Die Marotten, die jeder so an sich hat, sägen plötzlich ganz gewaltig an den Nerven. Die Inkompatibilitäten, die es in jeder Beziehung gibt, werden zunehmend zu unüberwindbaren Hindernissen. Der Umgang wird ungehaltener, die Streitigkeiten nehmen zu, die Versöhnung danach flacht immer mehr ab, bis das einstige Zusammenleben zum Nebeneinanderleben wird.

Dabei hat es die kleinen Irritationen schon immer gegeben. Nur hat man sie am Anfang nicht so fürchterlich ernst genommen. Man fand sie irgendwie schon etwas lästig,, hat aber damit gelebt und eben stillschweigend die schmutzigen Gläser in die Spülmaschine geräumt, die sie grundsätzlich auf dem Tisch stehen ließ. Man hat auch die Jacke auf den Bügel gehängt, die er einfach irgendwo liegen ließ. Man war zwar gelegentlich genervt, aber so ein richtiges Problem war es nicht.

Das Interessant ist, dass viele Streitigkeiten nur vorübergehender Natur sind. Da schaukelt sich etwas hoch, man giftet sich an, die Stimmlage wird schriller, der Tonfall aggressiver und die Lautstärke nimmt zu. Aber irgendwann ist das dann auch wieder vorbei und man weiß eigentlich nicht mehr so richtig, wie es dazu eigentlich gekommen ist. Man ist zwar verletzt über das, was man   zu hören bekam. Aber man bereut auch, was man selbst gesagt hat.

Die Nacht darauf ist meist besonders intensiv. Schließlich liebt man sich, auch wenn es manchmal eben Probleme gibt. Man ist nach wie vor scharf aufeinander trotz aller Unzulänglichkeiten. Sie hat nach wie vor den knackigsten Arsch den eine Frau haben kann und er ist noch immer der Kerl, den sie am liebsten täglich in sich spüren will. Sex ist die schönste Form der Kommunikation und all die bösen Worte sind wie ausgelöscht.

Doch mit der Zeit nimmt die Leidenschaft ab. Unweigerlich. In jeder Beziehung. Die heißen Nächte werden zur Ausnahmeerscheinung. Die spontanen Ficks zwischendurch finden nicht mehr statt. Das Knistern verschwindet irgendwie. Denn man kennt den Anderen bis in die intimsten Winkel. Man hat schon alles unzählige Male gesehen, gefühlt, geschmeckt, erlebt. Man kennt die Vorlieben des Anderen und genau so läuft es auch im Bett. Vorhersehbar. Jedes Mal gleich. Mit wenigen Abweichungen und seltenen Ausnahmen.

Man kann das durchaus positiv sehen. Denn es ist ein Zeichen, dass man zueinander gefunden hat. Man braucht keine Experimente mehr. Man verzichtet auf Überraschungen. Man genießt es einfach so, wie es sich am Besten anfühlt. Man redet nicht darüber, denn es ist einfach so wie es ist.

Die meisten Paare entwickeln  im Laufe der Zeit ihre Rituale. Vor dem Sex, während dem Sex und nach dem Sex. Dazu gehören Gesten, die nur sie zu interpretieren verstehen. Und vertraute Handlungen, die einfach ablaufen, ohne dass jemand ein Wort verlieren muss. Sie kuschelt sich fest an ihn, während er einen Film verfolgt und er schließt daraus, dass sie heute Nacht noch flach gelegt werden will. Er presst seinen Körper von hinten an sie und umfasst besitzergreifend ihre Brüste und sie weiß, dass er Lust auf sie hat. Vor allem, wenn sie dabei seinen aktiven Schwanz zwischen ihren Pobacken spürt.

Besonders Männer empfinden das aber irgendwann als langweilig. Warum hat sie plötzlich ein Problem damit, ganz einfach auf dem Küchentisch genommen zu werden? Warum macht sie nicht einfach seine Hose auf und besorgt es ihm mit dem Mund, wie sie es früher getan hat? Warum haben sie es schon eine Ewigkeit nicht mehr im Wand getrieben und es als spannend empfunden, dass jederzeit einer vorbei kommen könnte? Warum besteht sie jetzt darauf, immer auf die eine, immer gleiche Art genommen zu werden?

Feste Gewohnheiten verhindern neue, spontane, überraschende Situationen. Eingespielte Rituale ersticken auf Dauer jede Kreativität. Wo der Reiz des Andersartigen, Unerwarteten, Unüblichen fehlt, bleibt am Ende nur eine Beziehung übrig, die irgendwie automatisch funktioniert, ohne dass einer den Anderen noch bewusst wahrnimmt. Man ist einfach zusammen, weil sich das so ergeben hat. Oder weil es zu mühsam ist, etwas Neues anzufangen. Den unterschwelligen Frust ignoriert man einfach – bis auch der irgendwie dazu gehört und Teil des gewohnten Lebens ist.

Das Problem dabei ist, dass der Frust meist nicht artikuliert wird. Statt dessen entwickelt jeder seine eigene Strategie, um sich mit der Situation zu arrangieren. Mit der Folge, dass jeder seine Wege geht und sich das Miteinander immer mehr zu einem Nebeneinander entwickelt. Es gibt unzählige Ehen, die so funktionieren, bis beide zu alt sind, um noch etwas zu verändern.

Es gibt aber auch Paare, bei denen man auch im sechsten Lebensjahrzehnt noch spürt, dass in ihrer Beziehung Leben steckt und beide ein starkes Wirgefühl verbindet. Ich habe ältere Paare kennengelernt, die monatelang im Wohnmobil unterwegs waren und kein Problem damit hatten, auf  zehn Quadratmetern Wohnfläche friedlich miteinander auszukommen. Für andere sind schon zwei Wochen im selben Hotelzimmer eine Herausforderung.

Doch woran liegt es? Warum halten die einen ihre Beziehung für langweilig und brechen aus, sobald sich eine Gelegenheit ergibt, während die anderen irgendwie ein eingespieltes Team sind, das man sich getrennt gar nicht vorstellen könnte?

Ich glaube die meisten Paare, die ihre Beziehung schon nach relativ kurzer Zeit wieder auflösen, sind sie einfach viel zu schnell eingegangen. Ich lerne immer wieder Leute, kennen, die sich so heftig ineinander verliebt haben, dass man die Schwingungen zwischen ihnen spüren kann. Doch spätestens, nachdem sie zusammengezogen sind, scheint der Zauber vorbei zu sein und man sieht sie nicht mehr Arm in Arm, sondern bestenfalls Händchen haltend. Wenn man dann drei Jahre später nachfragt, heißt es, sie hätten sich wieder getrennt.

Bei einem Bekannten von mir beobachte ich das schon seit über einem Jahrzehnt. In dieser Zeit hat er mindestens schon ein Dutzend Freundinnen gehabt, die ganz schnell bei ihm eingezogen sind, um ein paar Monate später durch ein neues Gesicht ersetzt zu werden. Meist sehen wir uns nur einmal im Jahr zu seinem Geburtstag und praktisch jedes Mal tauchte er bisher mit einer Anderen auf. Und jedes Mal hatte er eine neue Geschichte, weshalb es mit der Letzten einfach nicht geklappt hat.

Ich glaube das Problem ist, dass sich viele Paare einfach nicht die Zeit nehmen, sich richtig kennenzulernen, zueinander zu finden und die Liebe wachsen zu lassen. Sie halten das erste Verliebtsein für die ganz große Liebe und meinen, sofort Nägel mit Köpfen machen zu müssen. Sie fallen übereinander her, sobald sie sich treffen und glauben, das würde immer so bleiben. Einige heiraten sogar, nachdem sie sich erst ein halbes Jahr kennen.

Doch so läuft das nicht zwischen ihr und ihm. Früher durfte sich ein Paar erst nach der Hochzeit austoben. Danach kamen Kinder und der Rest war von der Gesellschaft vorgeprägt. Glückliche Paare gab es viele. Von einer glücklichen Ehe hat man nur selten etwas gehört. Heute lernt man sich kennen, geht erst mal miteinander ins Bett und wenn die Triebe stark genug sind, sucht man sich gemeinsame Wohnung, weil es so einfach viel praktischer ist.

Das ist eigentlich eine riesige Chance, denn niemand ist mehr gezwungen, ein Leben lang mit einem Menschen zusammenzubleiben, mit dem er einfach nicht harmoniert. Doch die meisten vergessen, dass sich diese Harmonie erst im Laufe der Zeit entwickelt und dass man erst nach längerem Zusammensein merkt, ob man nicht nur scharf aufeinander ist, sondern auch auf emotionaler und geistiger Ebene harmoniert. Lust auf den Anderen zu haben ist nämlich etwas völlig anderes, als mit ihm zusammenleben zu können.

Ich stelle hier mal die These auf – und ich beziehe mich da auf unzählige Erfahrungen und Beobachtungen – dass man frühestens nach einem halben Jahr weiß, ob da nur sexuelle Anziehung war oder ob da starke emotionale Gefühle entstanden sind. Nach sechs Monaten ist nämlich der Reiz des Neuen vorbei und die Normalität setzt wieder ein. Empfindet sie ihn dann immer noch als den besten Mann, der ihr je begegnet ist, sind das schon mal gute Vorzeichen. Hat sich bei ihm bis dahin das Bedürfnis eingestellt, möglichst oft mit ihr zusammen zu sein, auch wenn es nichts ums Ficken geht, dann sieht die Sache wirklich ganz gut aus.

Haben beide darüber hinaus möglichst viele Gemeinsamkeiten entdeckt, teilen dieselben Interessen und haben ähnliche Lebenseinstellungen, steht einem gemeinsamen Weg eigentlich nichts im Weg. Das erkannte schon Kurt Tucholsk, der gesagt haben soll: „Eine dauerhafte Bindung zu einer Frau ist nur möglich wenn man über dasselbe lachen kann, wenn man gemeinsam schweigen kann, wenn man gemeinsam trauert.“

Eine dauerhafte Beziehung wird allerdings nur daraus, wenn es nicht nur Gemeinsamkeiten gibt, sondern wenn da auch die Entschlossenheit ist, mit dem Anderen durch Dick und Dünn zu gehen. Wenn ein Gefühlt der Verantwortung entstanden ist und man sich geradezu verpflichtet sieht, für den Anderen da zu sein, ganz gleich was sich ergibt. Vor allem aber, wenn die Beziehung nicht an Bedingungen geknüpft ist, sondern als ein rückhaltloses füreinander Einstehen verstanden wird.

Dazu kommt etwas, das wohl keiner treffender formuliert hat als Ernst Festl: „Wer eine Schwäche für einen Menschen hat, sollte auch stark genug sein, ihn längere Zeit zu ertragen.“

Einen Menschen – ganz gleich ob männlich oder weiblich – bekommt man nämlich immer nur als Komplettpaket. Darin sind die Eigenschaften enthalten, für die man ihn zu schätzen weiß. Dazu gehören aber auch die Eigenschaften, die einem tierisch auf den Geist gehen können. Wer diese Erkenntnis nicht hat, muss sich eben auf die never ending story einlassen und alle paar Jahre auf die Suche nach einem neuen Projekt der Begierde gehen.