Altersunterschied: Opa sucht Zwanzigjährige

Vor kurzem las ich „Die einzige Geschichte“, einen Roman zumeist über die Liebe von Samuel Johnson. Es geht drin um einen 20-jährigen Jüngling und seiner Beziehung zu einer mehr als doppelt so alten Frau. Eine Konstellation, wie man sie eher selten antrifft und die vom gesellschaftlichen Umfeld der 60er Jahre natürlich scharf missbilligt wurde. Ganz im Gegensatz zu Beziehungen, bei denen sie gerade mal volljährig ist und er schon deutlich graue Haare zeigt.

Dass der Chef seine Sekretärin heiratet oder der Oberarzt die Krankenschwester ist ein Klischee, das schon in unzähligen Liebesfilmen und Groschenromanen ausgewalzt wurde. Auch Adelige werden gern genommen, die natürlich alle umwerfend gut aussehen und beim weiblichen Gegenpart sofort weiche Knie auslösen, wenn sie die Szene betreten. Doch ist das alles nur Phantasie, die mit der Wirklichkeit nur wenig zu tun hat? Stehen junge Frauen nicht eher auf ebenso junge Männer mit vollem Haar und Workout-gestähltem Body?

Die meisten vermutlich schon. Zumindest träumen sie davon, wobei die Wirklichkeit meist anders verläuft. Männer, die stundenlang an ihrem äußeren Ich arbeiten, sind nämlich auch sonst gerne auf sich selbst fixiert und beurteilen daher eine Frau vor allem danach, ob sie sich optisch gut an ihrer Seite macht. Und weil es da immer Raum zur Optimierung gibt, werden seine Augen schon nach kurzer Zeit bereits nach der Nächsten Ausschau halten, während er die Gegenwärtige noch in seinen Armen hält. Außerdem erweist sich der gut aussehende Kerl vom Ibiza-Strand nur selten als der tolle Kerl, der es auch im Leben zu etwas gebracht hat. Nicht gegen einen fleißigen Handwerker, aber der Chefarzt ist es eben nicht und den großen Luxus wird sie an seiner Seite wohl auch nicht erleben.

Wer Frau erst einmal erkannt hat, dass die äußere Erscheinung das eine, die Substanz dahinter aber eine ganz andere Sache ist, wird früher oder später eher verhalten reagieren, wenn ihr mal wieder Mister gut aussehend begegnet.

Ohnehin sind Begegnungen zwischen Mann und Frau eher ein Spiel des Zufalls. Man studiert an derselben Uni und läuft sich häufiger über den Weg. Man arbeitet im selben Büro und begegnet sich mehr oder weniger zufällig am Kopierer. Man hat dieselben Interessen und trifft sich mit denselben Leuten. Oder man wohnt einfach im selben Viertel, wird zusammen groß und kennt sich irgendwann so gut, das alles andere nur logisch erscheint.

Erst die digitale Welt hat das alles durcheinander gebracht. Plötzlich guckt sich Frau Profile an, klickt sich durch Bilder und sucht sich ihren Traumpartner im Katalog der Möglichkeiten aus. Und der sollte eben den gesamten Wunschkorb erfüllen. Weshalb soll man sich auch mit dem Zweitbesten zufriedengeben. Also werden Beruf, Alter, Größe, Körperbau und was sonst noch alles wichtig erscheint, in die Suchmaske eingegeben und was dann noch auf dem Monitor steht, muss ja dann die ganz enge Auswahl sein.

Ist es aber nicht. Zum einen, weil nicht alle Profile so ehrlich sind, wie sie tun. Zum anderen, weil auch Männer ihre Vorlieben haben und sie eben nur  die angezeigt bekommt, bei denen es auf beiden Seiten zu passen scheint. Und Männer wissen vor allem eines: Frauen sind eigentlich nur solange interessant, solange sie noch jung sind und ihr Körper Sinnesfreuden ohne Abstriche verspricht. Denn Männer können auch über fünfzig noch verdammt attraktiv aussehen. Bei Frauen hingegen schlägt der Verfallsprozess gnadenlos zu. Spielt also ein Mann sein Online-Spiel in der Liga der Vierzigjährigen, hat er lediglich die Wahl zwischen tausend Kompromissen. Dort tummeln sich nämlich die abgelegten Ehefrauen, die auf einen Gönner hoffen. Und hier findet er die Mütter, deren Töchter eigentlich viel interessanter wären.

Es hat daher gute Gründe, weshalb manche Dating-Portale nicht nur uns Männern kräftig abkassieren, sondern auch von Frauen Gebühren haben wollen. Allerdings nur, wenn sie über vierzig sind. Alle anderen dürfen sich kostenlos feilbieten, denn sie sind genau die, nach denen die große Nachfrage besteht.

Da kommt natürlich schnell Entrüstung unter den verschmähten Frauen auf und so mancher Mann bekommt zu hören: „Unerhört, die könnte auch deine Tochter sein“. Aber das ist eben Biologie. Irgendwann kommt der Mann ganz einfach in das Alter, in dem so gut wie jede Frau, die wirklich seine Libido anspricht, rein rechnerisch auch seine Töchter sein könnte. Mit dem Vorwurf muss er leben. Damit kann er auch leben, denn er weiß nur zu genau, dass hinter all der moralischen Entrüstung nichts als purer weiblicher Neid steckt.

„Standard ist ein Altersunterschied von durchschnittlich drei Jahren,“ weiß die Betreiberin eines Dating-Portals zu berichten, das sich auf die Vermittlung älterer Herren an jüngere Frauen spezialisiert hat. In jungen Jahren mag das auch zu stimmen. Doch dann verändert sich das Verhältnis zunehmend: „So um die Zwanzig ist das Bild noch recht einheitlich. Junge Mädchen wollen junge Männer, auch wenn die durchaus eine Spur älter sein können. Bei den Männern ist es genau umgekehrt.“

Je weiter man aber in der Alterspyramide nach oben kommt, desto drastischer verändern sich Angebot und Nachfrage. Ein fünfzigjähriger Mann ist bestenfalls noch an einer Vierzigjährigen interessiert. Der Altersunterschied liegt also schon bei zehn und mehr Jahren. Und er verändert sich nicht wesentlich, wenn er auf die sechzig zugeht oder dieses magische Alter gar überschritten hat. „Auch in diesem Alter liegt das Wunschalter für die neue Partnerin bei vierzig,“ meint die Insiderin. „Höchstens, denn gestandene Männer am Höhepunkt ihres Lebens wollen eigentlich einen Blickfang in den Dreißigern. Oder sie sehen sich interessiert die Profile der Zwanzigjährigen an.“

Wobei die meisten Frauen mit dreißig und vierzig auf einen Endfünfziger nur selten reagieren. Doch bei den Zwanzigjährigen gibt es erstaunlicherweise viele, die sich auf dieses Abenteuer einlassen.

„Ältere Männer sind oft durchaus noch körperlich fit. Aber vor allem strahlen sie Erfahrenheit aus. Auch wissen sie genau, was sie wollen und haben meist eine ausgeprägte Dominanz. Und genau die weiß eine Frau auch heute noch zu schätzen.“

Einfach ausgedrückt: während die jungen Männer zunehmend von der Emanzipation verunsichert sind und es der Frau recht machen wollen, machen ihr die Älteren eine klare Ansage. Mit einem Jungen muss sie erst herumprobieren, bis beide den gemeinsamen Weg gefunden haben. Von einem Älteren wird sie einfach genommen und entdeckt dabei nicht selten genau die Wünsche und Begierden in sich, die ihr eigentlich bisher nicht wirklich bewusst waren.

„Natürlich könnte er mein Vater sein,“ meinte eine Vierundzwanzigjährige, die seit mehreren Jahren mit einem Mann über fünfzig zusammenlebt. „Und es amüsiert uns immer wieder, wenn er vom Kellner für den spendablen Vater gehalten wird, der seine Tochter zum Essen ausführt. Doch im Vergleich zu ihm waren die jungen Kerle, die ich vorher hatte, einfach nur unbeholfene Stümper. Orgasmen waren für mich früher seltene Höhepunkte. Er versteht es, mich allein mit der Zunge zum Äußersten zu treiben und wenn er mich dann richtig nimmt, weiß ich was der Unterschied zwischen einem klitoralen und einem vaginalen Orgasmus ist. Und das praktisch jedes Mal.“

Nein, der Mann fast im Opa-Alter kann nicht so ausdauernd rammeln wie ihre Jugendliebe aus der Unizeit. Aber er muss seine Standhaftigkeit auch nicht mehr beweisen, wenn er das junge Weib bereits zum Keuchen und Schreien gebracht hat. Dann weiß er, dass er seinen zweiten Frühling erlebt, auch wenn das eigentlich der Herbst ist. Sie wiederum hat einen Mann voller Wissen und Weisheit, der ihr Sicherheit und Geborgenheit bietet und mit dem sie unendliche Gespräche weitab von jeder Banalität führen kann. Anders gesagt: er genießt ein Stück Jugend und einen Körper, der ihn noch lange jung und aktiv halten wird. Und sie hat einen Ratgeber und Liebhaber an der Seite, bei dem Alter keine Rolle spielt.