Corona: Ja, es gibt auch eine positive Seite

Hier soll es nicht darum gehen, ob ein Virus mit dem kryptischen Namen Covic-19 wirklich so tödlich war, wie man überall lesen konnte. Es geht auch nicht um die Frage, ob es nicht reichlich überzogen war, deshalb das gesamte gesellschaftliche, kulturelle und wirtschaftliche Leben zum Stillstand zu bringen. Es geht um das Stichwort Home Office und einen Effekt, der ganz entscheidend die Zukunft bestimmen wird.

In der Hamburger Wexstraße gibt es ein Hochhaus, in dem zahlreiche Unternehmen residieren, die sich mit den vielseitigen Aspekten des Stadtmarketings beschäftigen. Von den oberen Etagen aus hat man einen herrlichen Blick auf die Stadt – den Hafen mit der Elbphilharmonie im Süden und die Alsterseen im Norden. Normalerweise findet man hier in der Gegend keinen Parkplatz und wenn, dann kostet der im Laufe des Tages so viel, wie ein Mittagessen in einem der zahlreichen kleinen Restaurants, die typisch für die Gegend hier sind.

Zu Zeiten des Corona-Shutdowns hingegen sah es hier ziemlich leer aus. Nicht nur der ruhende Verkehr war deutlich ausgedünnt. Auch die Restaurants hatten geschlossen. Man konnte noch nicht einmal in der Bäckerei an der Ecke einen Kaffee trinken. Und auch hinter der Fassade des alles andere als schönen Hochhauses schien alles still zu sein. Kein Wunder, denn hier saßen nur noch ein paar führende Köpfe in ihren Büros. Alle anderen wurden wochenlang nicht mehr hereingelassen und gingen von zu Hause aus ihrer Arbeit nach.

Erstaunlicherweise funktionierte das auch ganz gut. Ich habe immer wieder mit den Leuten dort zu tun und Anfang des Jahres treffe ich mich normalerweise auch in einem der zahlreichen Besprechungsräume zu einem strategischen Meeting. Doch dieses Jahr beherrschte Corona das Leben und das Meeting fiel aus. Ich muss allerdings sagen, dass das die einzige Einschränkung war, von der ich etwas merkte. Ansonsten nämlich ging alles seinen gewohnten Gang. Es wurde kommuniziert wie eh und je, man stimmte sich telefonisch ab, man schickte sich eMails zu, man arbeitete an den üblichen Projekten und ich als externer Mitarbeiter konnte eigentlich keinen Unterschied feststellen. Ich arbeite nämlich schon immer vom Home Office aus und die meisten meiner Kunden kenne ich nur als Stimme am Telefon oder Name in meinem eMail-Postfach.

Schon seit einigen Jahren denken Unternehmen darüber nach, ob denn wirklich jeder Mitarbeiter einen eigenen Schreibtisch braucht. All die Schreibtische brauchen nämlich richtig viel Platz und im Handumdrehen ist ein ganzes Hochhaus damit gefüllt. Das kostet nicht nur richtig Geld. All die Leute müssen auch jeden Morgen mit Bus, Bahn oder dem eigenen Auto anreisen und abends wieder nach Hause zurückfahren. Das ist ein gewaltiger Zeit- und Kostenaufwand und verursacht tagtäglich eine Rush Hour, die so machen Metropole an den Rand des Kollaps bringt.

Die ersten fest angestellten Mitarbeiter, die von zu Hause aus arbeiteten und nur noch zu Besprechungen im Head Office auftauchten, waren die Außendienstler. Es macht schließlich wenig Sinn, für einen Vertriebsingenieur einen Schreibtisch vorzuhalten, wenn dieser ohnehin die meiste Zeit unterwegs ist. Für solche Leute wurde VPS erfunden. Das ist gewissermaßen ein digitaler Tunnel, der mitten durchs Internet führt und ein Notebook überall direkt mit dem Firmen-Netzwerk verbindet. Ein Außendienstler kann so vom Home Office aus arbeiten und sieht auf seinem Bildschirm genau dasselbe, das er im Büro in der Firma auch sehen würde. Sein Arbeitsplatz kann auch ein Hotelzimmer sein, ein Sitzplatz im ICE, das eigene Auto oder der Besprechungsraum beim Kunden.

Sicher, nicht jeder kann dauerhaft von zu Hause aus arbeiten. Wer eine ganz bestimmte technische Umgebung braucht, findet die eben nur in der Firma vor. Und wer bei der Arbeit im ständigen direkten Kontakt mit anderen Menschen stehen muss, kann eben nur vor Ort arbeiten. Dennoch ist die Digitalisierung schon weitaus tiefer in die Abläufe eines Unternehmens vorgedrungen, als den meisten Menschen bewusst ist. Praktisch jeder Sachbearbeiter sitzt den ganzen Arbeitstag vor einem Computer-Monitor, um Informationen abzurufen oder Daten einzugeben. Ob Designer, Konstrukteur, Programmierer oder Entwicklungsingenieur – alle sitzen vor einem Bildschirm und arbeiten mit irgendwelchen Software-Systemen.

Die meisten davon könnten völlig problemlos auch von zu Hause aus arbeiten. Einem Computersystem ist es nämlich mittlerweile ziemlich egal, wo die einzelnen Computer stehen. Längst lagern die Daten irgendwo in der Cloud und räumliche Nähe zum Server ist kein Thema mehr. Es gibt sogar Unternehmen, die haben ihre komplette IT aufgelöst und verbinden nur noch ihre Computer mit einem Dienstleister, der in einer ganz anderen Stadt sitzt. Da könnte eigentlich problemlos auch die Sachbearbeiterin vom Home Office aus arbeiten und der Buchhalter seinen Aufgaben bequem von zu Hause aus nachgehen. Alle Prozesse eines Unternehmens werden heute ohnehin im ERP-System abgebildet und finden damit nur noch am Monitor statt. Sind an irgend einer Stelle noch Papierbelege erforderlich, werden die zentral eingescannt und leben fortan nur noch als PDF weiter.

Selbst Teams können heute unabhängig vom Standort zusammenarbeiten. In internationalen Unternehmen gibt es schon lange Projektteam, deren Mitglieder an unterschiedlichen Orten der Welt sitzen und dennoch nahtlos miteinander kommunizieren. Dafür gibt es spezielle Groupware-Lösungen, die den kompletten Workflow abbilden und von der schnellen Kurznachricht bis zur Videokonferenz alle Kommunikationsformen möglich machen. Unter den Programmierern der Open Source-Szene ist das schon seit Jahrzehnten üblich und hat sich bestens bewährt.

Auch meine Arbeitsweise hat sich im Laufe der Jahre grundlegend verändert. Noch vor wenigen Jahren war es üblich, dass für einen größeren Auftrag erst ein mal ein Kickoff-Meeting abgehalten wurde, damit sich alle Beteiligten persönlich kennenlernen und alle Details am runden Tisch besprochen werden konnten. In der Praxis hieß das meist vier Stunden Autobahn oder ICE, zwei Stunden Besprechung und danach wieder vier Stunden Autobahn oder ICE. Anders gesagt: für zwei Stunden Arbeit musste ich acht stunden reisen. Wenn die Bahnverbindung ungünstig war, musste ich sogar noch eine Übernachtung einplanen und der Zeitverlust war noch größer.

Mein letzter Vor-Ort-Termin liegt mittlerweile ein gutes Jahr zurück. Aber Besprechungen hat es dennoch unzählige gegeben. Nur finden die eben mittlerweile fast ausschließlich nur noch digital statt. Im einfachsten Fall ist es eine Telefonkonferenz. Die komfortable Variante ist eine Videokonferenz, bei der sich alle Beteiligten nicht nur hören, sondern auch sehen können. Dann muss ich mich eben etwas fein machen, denn es muss ja nicht jeder sehen, in welchem Outfit ich normalerweise vor meinen drei Monitoren sitze.

Zur Zeit des Corona-Shutdowns war nicht nur das Viertel rund um die Wextraße frei von Parkplatzstress. Auch bei NDR Info konnte man praktisch keine Staumeldungen mehr hören. Wenn Millionen von Menschen eben gar nicht oder nur von zu Hause aus arbeiten, fällt eben auch ein beträchtlicher Teil des täglichen Verkehrsaufkommens weg: In der U-Bahn kann man die Beine ausstrecken, der Nahverkehr fährt mit reduzierter Taktfrequenz und die üblichen Staus gibt es schlicht und einfach nicht mehr.

Wenn jetzt viele Unternehmen die gemachten Erfahrungen weiterspinnen und immer mehr Mitarbeiter ins Home Office schicken, würde das nicht nur unsere Gesellschaft nachhaltig verändern. Es würde auch einen Großteil der Verkehrsproblematik entschärfen. Die bisherigen Erfahrungen haben nämlich gezeigt, dass alle Versuche, den Individualverkehr einzudämmen und Autofahrer dafür zu begeistern, den ÖPNV oder alternative Mobilitätskonzepte zu nutzen, bisher kläglich gescheitert sind. Die Flexibilität des eigenen Autos ist nämlich durch nichts zu ersetzen und die Freiheit, jederzeit überall hinzufahren, kann kein Bus, keine Bahn, kein Sammeltaxi, kein Carsharing und erst recht kein Fahrrad bieten.

Wobei der Individualverkehr an sich auch nicht das Kernproblem ist. Problematisch ist es nur, wenn alle zur selben Zeit dasselbe wollen. Also wenn alle morgens innerhalb eines kleinen Zeitfensters in die Stadt und abends zur selben Zeit wieder nach Hause wollen. Das bringt jede Infrastruktur an die Grenze. Und das muss im Zeitalter der Digitalisierung eigentlich auch nicht sein. Denn je mehr Menschen zu Hause arbeiten, desto weniger tummeln sich auf der Straße, desto weniger Energie wird verbraucht und desto geringer fällt die Umweltbelastung aus.

Dazu kommt die deutlich verringerte Stressbelastung, denn der morgendliche Stop&Go-Verkehr von Ampel zu Ampel ist alles andere als ein Fahrvergnügen und auch der tägliche Kampf um die chronisch knappen Parkplätze ist eigentlich nur nervig. Vor allem aber knabbert der tägliche Zeitverlust durch das unnötige Commuting gewaltig am eigenen Zeitbudget. Man muss nur mal über folgende Tatsachen nachdenken:

Laut einer Befragung von Statista - https://de.statista.com/statistik/daten/studie/928570/umfrage/umfrage-zur-beurteilung-des-arbeitsweges-nach-zeitaufwand-in-deutschland/ - brauchen 9 % aller Angestellten bis zu 20 Minuten täglich für ihren Arbeitsweg. 31 % müssen dafür mit bis zu 40 Minuten arechnen. Bei 72 % sind es sogar mehr als 40 Minuten. Das heißt, Monat für Monat gehen gut 13 Stunden verloren. Das ist weit mehr als ein Arbeitstag und Zeit, die man eigentlich für interessantere Dinge verwenden könnte, als im Auto, dem Bus oder der Bahn zu sitzen.

Zeit, die sich ein Home Office Worker spart und auf der Habenseite seiner Work Live-Balance verbuchen kann.

Ich hoffe daher, dass Corona zumindest diesen einen positiven Aspekt zur Folge hat und immer mehr Menschen künftig nur noch nach nebenan gehen, anstatt ins Büro fahren zu müssen. Denn wenn sich erst einmal die Erkenntnis durchgesetzt hat, dass es funktioniert, werden immer mehr Unternehmen erkennen, dass sie bisher eigentlich eine ganz wesentliche Chance der Digitalisierung übersehen haben. Denn diese Digitalisierung ist längst Wirklichkeit und wartet nur darauf, endlcih in eine Win-Win-Situation für alle umgesetzt zu werden.