Trend: Arbeiten ohne festen Arbeitsplatz

Für einen erheblichen Teil der Menschen findet die tägliche Arbeit heute in einem Büro statt. Dort haben sie ihren festen Arbeitsplatz, der normalerweise aus einem Bürostuhl und einem Schreibtisch besteht. Dort arbeiten sie mit Maus und Tastatur und sitzen vor einem Monitor. Dabei spielt es keine Rolle, ob sie in der Buchhaltung sitzen oder im Vertrieb. Auch Konstrukteure, Software-Entwickler und Mediengestalter sitzen vor einem Monitor, der mal größer und mal kleiner ist. Die Frage ist nur, warum fahren die eigentlich jeden Morgen ins Büro?

Die Frage ist berechtigt und seit Corona wird sie nicht nur von Unternehmen gestellt, sondern auch von den Mitarbeitern, die jeden Morgen die Rush Hour ertragen, nur um sich selbst von der eigenen Wohnung an den Arbeitsplatz zu bewegen. Corona hat nämlich vieles verändert und wir werden vermutlich erst in zehn Jahren erkennen, wie tief diese Veränderungen in unser Leben eingedrungen sind.

Was man am Monitor erledigt, das kann man in aller Regel auch zu Hause machen. Das wissen Unternehmen eigentlich schon lange, aber erst Corona hat ihnen vor Augen geführt, dass es tatsächlich funktioniert, wenn man sich erst einmal richtig darauf eingestellt hat. Mancherorts hat es sogar so gut geklappt, dass man mittlerweile den traditionellen Arbeitsplatz in irgendeinem Bürogebäude grundsätzlich infrage stellt und über Alternativen nachdenkt.

Dabei haben die Knowledge Worker dieser Welt schon lange bewiesen, dass zusammenarbeiten nichts damit zu tun hat, dass man acht Stunden seiner täglichen Lebenszeit im selben Raum mit denen verbringt, die man als seine Kollegen oder Mitarbeiter bezeichnet. Mittlerweile gibt es nicht wenige rein virtuelle Unternehmen, die jeder kennt, aber die nicht ein einziges Bürogebäude mit ihrem Firmenlogo auf dem Dach haben. Auch nahezu die gesamte Open Source Szene besteht aus Programmierern, die auf der ganzen Welt verteilt sind und nur online miteinander kommunizieren. So ist zum Beispiel die komplette Linux-Welt entstanden und zwar vom Betriebssystem bis zu Tausenden von Anwendungen.

Auch die Digitalen Nomaden bestätigen das Tag für Tag. Sie entwickeln Software, betreiben Online-Marketing, übersetzen oder schreiben Texte und klappen dafür ihr Notebook immer da auf, wo sie gerade sind. Ein befreundeter Texter von mir ist zwei Jahre lang quer durch Asien gezogen und hat dabei weiterhin für seine Kunden gearbeitet, ohne dass denen aufgefallen ist, dass er nicht mehr im gewohnten Home Office saß. Ein Übersetzer aus meinem Bekanntenkreis hat sich ein hübsches Häuschen in der Provence gebaut, ohne dass seinen Kunden je aufgefallen ist, dass er nicht mehr in Frankfurt arbeitet.

Weshalb auch? Alles, was sich digitalisieren lässt, kann heute auch an jedem beliebigen Ort der Welt erledigt werden, sofern es dort einen vernünftigen Internet-Anschluss gibt.

Ich gehe davon aus, dass sich dieser Trend fortsetzen wird. Man kann sogar sagen, dass er sich nicht mehr aufhalten lässt. Wobei hinter dieser Entwicklung durchaus ein großes Stück Nachhaltigkeit steckt, die man nur begrüßen kann. Es macht schließlich keinen Sinn, wenn Millionen von Menschen jeden Tag teilweise mehr als 100 km zurücklegen, nur um einer Arbeit nachzugehen, die sie problemlos auch zu Hause erledigen könnten. Es macht keinen Sinn, das Straßennetz in den Ballungsräumen für ein Verkehrsaufkommen auszulegen, das nur innerhalb von zwei, drei Stunden am Tag erreicht wird.

Ich kann mich an unzählige Reisen quer durchs Land erinnern, die ich als Journalist und Texter unternommen habe, nur um ein Gespräch mit meinem Auftraggeber zu führen. Das bedeutete nicht selten: vier Stunden hinfahren, eine Stunde miteinander reden und wieder vier Stunden zurückfahren. Ein ganzer Tag Zeitaufwand für eine Stunde Arbeit ist alles andere als wirtschaftlich und der Energieaufwand zur Überbrückung von Hunderten von Kilometern hat wenig mit Nachhaltigkeit zu tun.

Seit Corona mache ich Besprechungen und Interviews eigentlich nur noch per Videokonferenz. Auch Präsentationen und sogar Messen nehme ich nur noch virtuell wahr. Meine Freundin kommuniziert mit ihrer weltweit verstreuten Familie nur noch per Skype. Meine Familie wiederum trifft sich einmal im Monat zum virtuellen Familientreffen. Deutschland mag zwar in Sachen Digitalisierung ein Schlusslicht sein, eine Konferenz per Zoom, Skype oder Teams ist dennoch mittlerweile so selbstverständlich wie früher ein Telefongespräch.

Man kann davon ausgehen, dass in den nächsten Jahren viel Büroraum in den Ballungsgebieten frei werden wird. Die Rush Hour wird vermutlich nicht ganz verschwinden, aber die Staus werden dennoch spürbar nachlassen. Auch der ÖPNV wird Umsatz verlieren, denn wer im Home Office arbeitet, braucht auch kein Monatsticket. Außerdem müssen Remote Worker nicht ausgerechnet dann Einkaufen fahren, wenn alle anderen auch da sind. Das Leben wird sich entzerren und Wohnen auf dem Land wird wieder attraktiv werden, weil man ja nicht mehr jeden Tag in die Stadt fahren muss.

Für viele Jobs bedeutet das keine allzu großen Veränderungen. Er erfordert vor allem ein wenig umdenken und die Bereitschaft, als Zöpfe abzuschneiden und dafür neue Wege zu gehen. Die meisten Arbeitsprozesse werden mittlerweile ohnehin im IT-System abgebildet und für einen Server  ist es ziemlich egal, ob der Client in einem Büro im dritten Stock steht, oder im Home Office 30 Kilometer außerhalb der Stadt.

Es wird daher schon bald erheblich mehr Menschen geben, die wie Freiberufler arbeiten, aber in Wirklichkeit Angestellte mit festem Arbeitsvertrag und Urlaubsanspruch sind.