Nacktsein: Andere Länder, andere Tabus

Nackt in der Sauna schwitzen? In Deutschland und weiter nördlich davon kein Problem. Südlich der Alpen sieht man das ganz anders und in den angelsächsischen Ländern sowieso. Bei manchen Leuten hat man sogar das Gefühl, dass sie sich nicht mal zum Sex ausziehen. Ein nackter Körper ist eben nicht einfach nur natürlich, sondern vielerorts ein richtiges Problem.

In Europa gibt es Strände, da kann man völlig nackt baden. Als ich das meinen amerikanischen Freunden erzählte, haben sie es mir schlicht und einfach nicht geglaubt. Nackt in aller Öffentlichkeit herumlaufen, das ist im Land der größten Pornoindustrie der Welt schlichtweg unvorstellbar. Dort verlangt man ja sogar von kleinen Mädchen – ich meine richtig kleine Mädchen – dass sie am Strand, Pool oder wo immer ihre noch nicht einmal ansatzweise vorhandenen Brüste bedecken. Das gehört sich schließlich so. Alles andere wäre unschicklich.

Meist werden die Kinder vorgeschoben, um Regeln zu rechtfertigen, die Nacktheit in der Öffentlichkeit verbieten. Die Wahrheit ist allerdings, dass Kindern das eigentlich völlig egal ist. Ich selbst besuche gerne den FKK-Strand in Travemünde. Der ist nicht etwa an einer abgelegenen und von außen nicht einsehbaren Ecke gelegen. Nein, da laufen ständig Spaziergänger vorbei, die mit ihrem Hund am Brodtener Ufer entlang spazieren wollen. Zwischen Strand und Wasser befindet sich ein Wall aus großen Steinen, der das Meer daran hindern soll, den Sand wegzuspülen. Für Kinder ein ideales Gelände zum Klettern. So manch ein Bengel ist dabei auch keine zwei Meter an meinem nackt auf einem flachen Stein ausgestreckten Körper vorbeigeturnt. Schockiert war keiner von ihnen. Meist war ich ihnen noch nicht einmal einen Seitenblick wert.

Als ich noch in Süddeutschland lebte, zählte ich zu den regelmäßigen Besuchern eines Thermalbads und habe dort meist auch zwei, drei Saunagänge absolviert. Dass man diesen Bereich nur textilfrei betreten darf, war für mich selbstverständlich. Und dass man in der Kabine mit nichts am Körper auf seinem Saunatuch sitzt, während die Schweißperlen aus der Haut treten, gehörte ebenfalls zur Gewohnheit. Getrennte Saunatage für Männer und Frauen gab es früher einmal. Irgendwann in den Sechzigern. Aber das ist Schnee von gestern.

Irgendwann zog ich dann nach Norddeutschland und machte eine recht unerwartete Erfahrung. In der Ostsee-Therme in Scharbeutz konnte ich nämlich mit hoher Genauigkeit feststellen, wer Tourist war und wer zu den Einheimischen zählte. Touristen wussten offensichtlich, was eine Sauna ist und bewegten sich dort auch recht ungeniert, auf jeden Fall aber nackt. Manche Frau hatte zwar lässig ein Saunatuch über die Schulter hängen, das scheinbar zufällig ihren Mittelpunkt verdeckte. Aber in der Sauna selbst gab es dieses Versteckspiel nicht mehr.

Ganz anders die Einheimischen. Die Männer hatten meist ihr Saunatuch wie eine Schürze umgebunden, damit man ja nicht sehen konnte, was da unten baumelte. Die Frauen waren sogar vom Hals bis zu den Schenkeln fest eingewickelt – und sie behielten diese schamhafte Verpackung auch in der Kabine an. Klar, hier sollte man sich textilfrei bewegen. Aber ein Saunatuch durfte man schließlich mitführen.

Ich weiß nicht, wie diese Prüderie zu erklären ist und woher der deutliche Unterschied zwischen dem Norden und dem Süden kommt. Ich habe lediglich die Vermutung, dass es mit der vorwiegend protestantisch pietistischen Religion zu tun hat, die hier im Norden über viele Generationen hinweg das Leben der Menschen geprägt hat. Man lebt eben hier betont körperfeindlich, was ich auch bei praktisch jeder norddeutschen Frau feststellte, mit der ich mich traf, als ich noch in einschlägigen Dating-Portalen unterwegs war. Irgendwie waren die alle ziemlich zugeknöpft und ich war mir nicht sicher, ob die je aus sich herausgehen würden.

Einem Finnen, Schweden oder Norweger würde es gar nicht in den Sinn kommen, eine Sauna in Stoff gehüllt zu betreten. In Großbritannien, Irland und überhaupt in der gesamten angelsächsischen Welt sieht das hingegen völlig anders aus. Ein Freund von mir besuchte einmal eine Hotelsauna in London und wäre fast des Hauses verwiesen worden, als er dort nackt wie er es gewohnt war, auftauchte. Englan ist das Land der Kleidungsvorschriften. Auf der Insel hat jedes Unternehmen einen Dresscode, an den sich die Mitarbeiter halten müssen. Selbst in ein stinknormales Steakhaus kommt man nicht rein, wenn man Shorts trägt. Auch sollte man zumindest ein ordentliches Hamd anhaben und das darf nicht einfach über die Hose hängen. Da ist es irgendwie nicht verwunderlich, dass Engländer auch in der Sauna die Form wahren und die Badehose anbehalten.

Achten sie mal darauf: kommt in einem englischen oder amerikanischen Spielfilm eine Frau aus der Duschkabine, hat sie grundsätzlich ein geradezu riesiges Badetuch um den gesamten Körper gewickelt und ist so von Kopf bis Fuß bedeckt. Ich glaube nicht, dass sich eine Frau im wirklichen Leben die Mühe macht, sich in der engen Sauna so einzupacken, nur damit sie ihr Mann nicht so sehen kann, wie er sie ohnehin kennt (oder zumindest kennen sollte). Im Film scheint das aber irgendwie normal zu sein. Ich vermute mal, dass es da irgendwo ein Regelwerk gibt, in dem genau festgelegt ist, was wann wie gezeigt werden darf. Das würde auch erklären, weshalb in angelsächsischen Filmen die Männer selbst unmittelbar nach dem Sex (der ohnehin nur schamhaft angedeutet visualisiert wird) in Shorts aus dem Bett steigen. Und dass dieser Sex grundsätzlich unter der Decke stattfindet.

Ich kann mich noch an eine Begebenheit in den 70er Jahren erinnern. Ich hatte damals einen GI kennengelernt, der mich zum Essen eingeladen hatte. Ich war etwas früh dran und seine Frau schlug vor, dass ich doch etwas fernsehe, bis ihr Mann nach Hause kommt. Das tat ich dann auch. Es war später Nachmittag und in der ARD lief irgendeine Vorabendserie. Dort ging eine Frau unter die Dusche und kam wenig später so wieder heraus, wie man es normalerweise tut, wenn man unter der Dusche war: nackt. Warum auch nicht. Jede Frau ist nackt, wenn wie geduscht hat und sie wird sich dort abtrocknen, wie sie genügend Ellenbogenfreiheit dafür hat. Meine Gastgeberin gab einen entsetzten Schrei von sich. Sie hechtete zum Fernseher (Fernbedienungen waren damals noch Luxus) und schaltete ihn aus. „Ich wollte nicht, dass du so etwas ansehen musst,“ sagte sie und meinte es wohl auch so. Nacktheit im Fernsehen, das geht ja überhaupt nicht.

Im amerikanischen Fernsehen kann  man zwar allabendlich tausend Varianten erleben, wie ein Mensch umgebracht wird. Nackte Haut hingegen wird man nicht zu sehen bekommen. Das ist „dirty“. Das gibt es nur im Pay-TV nach Mitternacht.

Ich war einmal bei einer befreundeten Familie in Kanada zu Besuch. Im Fernsehen lief „Rosemary‘s Baby“ von Roman Polanski. Ein typisches Merkmal von Polanski-Filmen ist irgendein Element, an dem man den Fortschritt der Zeit ablesen kann. In diesem Film war es eine Wohnung, die von einem jungen Paar bezogen wurde. Als sie die erste Nacht darin verbrachten, war sie völlig leer. Im Laufe des Filmes kamen immer mehr Möbel hinzu, bis schließlich ein richtige Zuhause daraus geworden war.

In besagter ersten Nacht in der neuen Wohnung saßen die Beiden auf dem Boden und hatten eine Art Picknick. Durch das Fenster schien die spätabendliche Sonne, sodass die beiden Figuren nur in Umrissen zu sehen waren. Sie meinte „Let‘s have sex“ und die beiden taten, was jung verheiratete Paare eben öfter mal tun.

In der Originalfassung sieht man dann auch, wie sie ihre Kleider abstreifen, sich küssen, umarmen und schließlich am Boden wälzen. In der Fassung des Kanadischen Fernsehens gab es eine Cut. Es folgte eine Werbeeinblendung und danach war die Nacht vorbei. Das Schattenspiel zweier Menschen beim Sex war wohl etwas, was man amerikanischen Zuschauern zur Prime Time nicht zumuten konnte. Ich musste laut lachen, aber meine Gastgeber konnten mein Amüsement nicht verstehen.

Meine damalige Frau war Amerikanerin. Ich habe sie außer im Bett nie nackt gesehen. Vor den Kindern natürlich ganz besonders nicht. Unser Sex war, na ja. Sie war eben in einer dieser zahlreichen amerikanischen Sekten aufgewachsen, die genau wussten, was als schicklich galt und was man den Kirchenältesten beichten musste. Irgendwann habe ich uns einen Nachmittag in einer Saunalandschaft gegönnt. Sie war zwar schockiert, aber sie hat dann doch mitgemacht. Hier kannte sie ja niemand. Aber zu Hause hat sie das nie erzählt.