Lehrer, Corona und die große Überforderung

Lehrer sind hierzulande Beamten. Sie haben diesen Beruf auch deshalb ausgewählt, weil sie als Beamte unkündbar sein würden. Und natürlich weil sie weit mehr Urlaub haben würden als all die anderen Menschen, die als Angestellte irgendeiner Arbeit nachgingen. Eigentlich sind sie ja davon ausgegangen, einmal in ihrem Leben etwas zu studieren, um jahrzehntelang davon zehren zu können. Und sie hatten geglaubt, bis zur Pension vor der Klasse zu stehen und das zu unterrichten, was sie irgendwann in- und auswendig kannten. Corona kam in diesen Plänen natürlich nicht vor. Und Fernunterricht am Computer hatte ihnen auch niemand beigebracht.

Meine erste Erfahrung zum Thema Lehrer und Technik machte ich irgendwann Anfang der neunziger Jahre. Damals war ich Elternbeiratsvorsitzender an einer süddeutschen Schule, in der meine Kinder ihre ersten vier Schuljahre verbrachten. Man wusste, dass ich Freiberufler war und zu Hause am Computer arbeitete. Das brachte mir damals eine gewisse Achtung ein. Zur Zeit von Atari, Commodore und dem allerersten Apple Home Computer galt ich mit meinem IBM-kompatiblen Rechner von Olivetti bereits als unheimlich fortschrittlich. Man war davon überzeugt, dass ich mich mit Computern auskenne und bat mich, die Schule zu beraten. 

Es sollte um einen Computerraum gehen. Das war damals gerade in und der Staat verplemperte unheimlich viel Geld, damit sich jede Schule einen extra Raum einrichten konnte, in dem ein paar Computer standen. Was man damit machen wollte, war irgendwie noch nicht so klar. Aber Computer muss man können, das hatte sich wohl selbst in Beamtenhirnen festgesetzt. 

An „meiner“ Schule stellten sich zwei Lehrer für den Computer-Unterricht bereit. Ich hatte meine Empfehlung abgegeben und sie standen vor zwei Dutzend Computern mit grünen Bildschirmen und DOS Betriebssystem. Natürlich ging es in erster Linie um Theorie, denn das können Lehrer am Besten. Aber es wurde auch geübt, Briefe zu schreiben und Tabellen zu erstellen. Das Problem war nur, dass die Kids nicht dumm waren und schnell mehr über Computer wussten als ihre Lehrer. Und so legten einige das Netzwerk lahm, andere spielten Spiele, während der Lehrer vorne stand und dozierte und am Ende und die besonders Gewieften unter ihnen bastelten lustige Programme, die dem Lehrer vorgaukelten, der Computer wäre abgestürzt und alles gelöscht. 

Irgendwann hörte ich dann vom Computerunterricht nichts mehr. 

Meine Kids sind mittlerweile erwachsen, aber mit Lehrern habe ich immer noch gelegentlich zu tun. Und was die mir so berichten, ist echt belustigend. 

Beim großen Corona-Lockdown waren sie aufgefordert, den Unterricht aus der Ferne fortzusetzen. Immerhin hat heute fast jeder ein Notebook zu Hause. Oder zumindest ein Tablet oder ein Handy. Doch wenn man Lehrer ist, hat man damit vermutlich noch nie mehr angestellt, als im Internet zu surfen, mit Hilfe von Google Wissenslücken zu schließen und ein paar Briefe zu schreiben. Social Media ist doch nur was für die Kids, Youtube gilt als wilder Haufen von Videoschnipseln und Pornos, na ja, die guckt man auch als Lehrer ganz gerne. 

Lehrer mit diesem Wissenshorizont sollen also einen Online-Unterricht organisieren. Allein die Vorstellung ist schon belustigend. Aber die Realität übertrifft die schlimmsten Befürchtungen. 

Die meisten Lehrer glaubten nämlich allen Ernstes, dass man den Kids nur mit Hausaufgaben beschäftigen müsse und der Lehrauftrag sei erfüllt. Und da sie außer eMail nicht viel beherrschten, verschickten sie eben irgendwelche Word-Dokumente mit Hausaufgaben und ließen sich die Ergebnisse zur Benotung zurückschicken. Meist blieb es auch bei der Aufgabe und es war Sache des Schülers, ob er sie tatsächlich machte oder nicht. Mit anderen Worten: an den Deutschen Schulen gab es zwei Monate Sonderferien. Die Lehrer gingen mit dem Hund spazieren oder kümmerte sich um den Garten (schließlich war es Frühjahr). Die Kids konnten ausschlafen und hatten viel Zeit. 

Behörden und Computertechnik waren noch nie zwei Themen, die sich vertragen haben. Man muss nur an die unsäglichen Versuche des Finanzamts denken, um das bestätigt zu sehen. Gerade eben erst habe ich einen Steuerbescheid angemahnt und wurde mit der Behauptung konfrontiert, der wäre per ELSTER nie eingegangen. Ich konnte es aber nachweisen und vier Wochen später ging das Papier endlich ein. 

Bei den Schulbehörden ist das nicht anders. An Online-Unterricht hat da noch niemand gedacht. Die Regierung redet zwar viel von Ditigalisierung, aber die Behörden verschicken immer noch Papier wie schon vor hundert Jahren. eLearning gilt da eher als Hirngespinst, denn Schule heißt Schüler, Lehrer, Klassenzimmer und das soll wohl auch so bleiben. Es gilt ja schon als Fortschritt, wenn die gute alte Schiefertafel durch ein White Bord ersetzt wird. Und ein Beamer im Klassenzimmer scheint für Schulen unerschwinglich zu sein. Mit dem Ergebnis, dass noch immer Zettel verteilt und Aufgaben handschriftlich gemacht werden.

Dabei könnte heute jeder Lehrer das Unterrichtsmaterial per PDF zur Verfügung stellen und sich die Hausaufgaben per eMail zuschicken lassen. Das würde während des Unterrichts viel Zeit für wichtigere Dinge schaffen, anstatt sich mit Administration beschäftigen zu müssen. Aber es würde natürlich auch bedeuten, dass die Lehrer zum Teil im Home Office arbeiten müssten und das vermeiden sie eben nur allzu gerne. 

Unter solchen Umständen war es nicht überraschend, dass der große Corona-Lockdown die Schulen ziemlich kalt erwischt hat. Die Sozis machten natürlich wieder einen auf sozial und sorgten sich vor allem um die Familien, in denen es noch immer keinen Computer gibt. Und da sich die Mehrzahl der Lehrer zwischen rot und grün bewegt, trafen sie damit durchaus auf fruchtbaren Boden. Home Schooling, eLearning, all das moderne Zeug gibt es doch höchstens im Ausland. Für beamtete Lehrer ist das nicht zumutbar. Das ist schließlich nicht Teil ihrer Arbeitsplatzbeschreibung. Das haben sie nicht gelernt. Das erfordert technische Kompetenzen und neues Wissen und darum soll sich gefälligst die Behörde kümmern. 

Dabei ist es eigentlich kinderleicht, einen funktionierenden Online-Unterricht zu verwirklichen. Zum Beispiel über Zoom. Damit kann der Lehrer beliebig viele Schüler in einen Chatroom einladen. Er kann zu ihnen sprechen, er kann Powerpoint-Präsentationen vorführen, zeichnen und skizzieren und Videos abspielen. Alles, was man an einem PC machen kann, lässt sich auch über Zoom wiedergeben. Über einen parallel laufenden Chat kann jeder Schüler kommentieren und wenn der Lehrer will, kann er sogar für einzelne Schüler das Mikrofon öffnen, damit die anderen mithören könne, was sie zu sagen haben. 

Die Schule braucht dafür lediglich einen Account. Der Schüler braucht nicht mehr als ein Notebook oder Tablet mit Internet-Browser. Das virtuelle Klassenzimmer scheitert daher nicht an technischen Hürden, sondern bestenfalls am Willen der Schule und an der Bereitschaft der Lehrer. Seitdem persönliche Treffen zu einem Problem geworden sind, kommuniziert mittlerweile die halbe Geschäftswelt über Zoom und ähnliche Lösungen. Nur Behörden müssen offensichtlich erst mal ein paar Jahre prüfen und entscheiden, um endlich einzuführen, was um sie herum längst selbstverständlich geworden ist. 

An privaten Schulen hat Zoom übrigens auch während des Shutdowns bestens funktioniert. Es gab jeden Tag Unterricht und so mancher Schüler hat sich vielleicht schon gefragt, warum er eigentlich jeden Morgen per Bus, Fahrrad oder in Mamas Auto zur Schule fahren muss, wenn doch eigentlich ein Schreibtisch mit PC und Monitor voll genügen würde.