Eine Stadt ohne Autos ist eine tote Stadt

Eine Stadt ist Wohnort für Menschen. Sie ist Lebensraum, Freizeitwelt und Ort der Begegnung. Sie ist aber auch ein Marktplatz, auf dem Angebot und Nachfrage aufeinander treffen. Und sie ist Arbeitsplatz für Händler, Handwerker, Dienstleister, Industrie und Gewerbe. All das ist ohne Mobilität kaum vorstellbar. Auch wenn genau diese Mobilität zum Problem wird, je größer die Stadt ist und je mehr Menschen dort leben.

Neulich in Lübeck. Es ging um die Zukunft der historischen Altstadtinsel. Die schmucke Altstadt Lübecks ist von Wasser umgeben und UNESCO Weltkulturerbe. Rund ums Jahr tauchen hier Busse voller Touristen auf. Sie besuchen das Hanse-Museum besuchen. Sie gehen bei Niederegger Marzipan naschen. Und sie spazieren durch die malerischen Gassen mit ihren schmucken Backsteinhäusern, die noch heute an die große Vergangenheit der Hansestadt erinnern.

So eine Stadt wurde natürlich nicht für den Verkehr von heute gebaut. Die Straßen sind schmal und wenn alle Bewohner ihre Autos vor der Tür parken, wird es eng. Touristen müssen daher draußen parken. Genauso, wie alle, die hier nicht wohnen. Doch es gibt auch Parkhäuser mitten in der Altstadt. Ein Teil der historischen Struktur wurde nämlich im letzten Krieg von den Engländern zerstört und danach von den Einheimischen ziemlich fantasielos wieder aufgebaut. Es gibt daher mehrere Verkehrsachsen, über die man recht nah an die verbliebene Altstadt heranfahren und dicht an der Shoppingmeile parken kann.

Und genau damit soll bald Schluss sein. Das ist zumindest das Ergebnis einer Befragung zur Zukunft der Lübecker Altstadtinsel. Die Altstadt soll künftig autofrei sein, so die Vorstellung. Nur Fußgänger und Radfahrer soll es hier noch geben. Bei Facebook liest man dazu viel von Aufenthaltsqualität, üppigen Grünflächen und vielen Parkbänken. Man brauche eigentlich kein Auto, so die in Lübeck weit verbreitete Überzeugung, schließlich könne man hier alles zu Fuß oder mit dem Rad erledigen.

Aussagen, die sich in anderen Städten auffällig ähnlich anhören. Geäußert von immer wieder denselben Leuten und die können richtig aggressiv werden, wenn man mit ihnen ins Gespräch kommen will. Da ist man schnell die Umweltsau, wenn man sagt, dass eine Stadt frei von Verkehr irgendwann auch eine tote Stadt ist. Dann nämlich, wenn die Geschäfte mangels Kundschaft dicht sind und die gemütlichen Parkbänke nur noch von Stadtstreichern belebt werden, weil sonst keiner mehr einen Grund hat hierher zu kommen.

Fußgängerzone ja, aber ...

Fußgängerzonen sind schön und gut. Doch sie funktionieren immer nur da, wo in den Nebenstraßen reger Autoverkehr herrscht und das Parkhaus nur ein paar Schritte von der Ladenzeile entfernt ist. Denn wer zu den Menschen zählt, die nach wie vor gerne in der City flanieren und nebenbei Shopping gehen, der will es zum Auto nicht allzu weit haben. Oder er kauft eben nur, was er in einer Hand tragen kann. Natürlich kann man auch mit der Straßenbahn in die City fahren, mit der U-Bahn, oder dem Bus. Doch auch hier endet das Shopping-Vergnügen spätestens dann, wenn die Schlepperei zur Plage wird.

Lübeck ist eine rot-grün dominierte Stadt mit einem hohen Anteil an Arbeitslosen. Hier herrscht ein seit vielen Jahren gewachsener Sozialisten-Klüngel. Die Grünen erhoben bei der letzten Wahl tatsächlich die Forderung nach Tempo 30 im gesamten Stadtgebiet. Die Linken interessieren sich weniger für die Stadt, sondern kämpfen für Frauenrechte, Flüchtlinge und Gender-Toiletten. Das sagt viel über die Denke der Menschen hier aus. Und es erklärt vielleicht die träumerischen Vorstellungen von der Zukunft der Stadt als reines Fußgänger- und Radfahrer-Paradies.

Dabei gibt es in Deutschland bereits genügend verwaiste Innenstädte, die zwar schön ruhig und autofrei sind, aber auch frei von interessanten Geschäften und damit weitgehend menschenleer. Auch in Lübecks Altstadt kann man deutliche Zeichen ausmachen: C&A hat sich radikal verkleinert und eine gewaltige Bauruine zurückgelassen. Karstadt ist schon lange nicht mehr das, was es einmal war. Auch Esprit und S.Oliver haben aufgegeben und die beiden Shopping Malls in der Innenstadt sind halb leer. Die Geschäfte, die dort einmal waren, findet man heute im Luv-Center und im Citti-Markt am Rande der Stadt. Dort kann man nämlich kostenlos parken und muss nicht für ein mäßiges Shopping-Erlebnis auch  noch 5 Euro Parkgebühren an die Stadt abliefern. Entsprechend voll ist es da bis 20 Uhr, während in der Innenstadt um 18 Uhr die Ladentüren abgeschlossen werden und die Touristen längst wieder im Bus sitzen.

Das Fahrrad ist nicht die Lösung

Ich habe ja nichts gegen Fahrräder. Ich fahre selbst gern mit dem Fahrrad, wenn immer ich mir die Zeit dafür nehmen kann. Doch ein Fahrrad ist eben letztendlich nur ein Sportgerät. Es macht Spaß bei schönem Wetter. Man kann damit fit bleiben, am Wochenende eine Tour machen, abends eine Runde drehen und morgens zum Bäcker fahren. Doch als Transportmittel ist es nur sehr bedingt geeignet: Wenn es kalt ist, frieren einem die Finger ein, wenn es schneit oder die Straßen glatt sind, wird jeder Kilometer zum Unfallrisiko. Wenn es regnet (was ja hier im Norden ja recht häufig vorkommt) ist man ganz schnell nass bis auf die Knochen. Dazu kommt, dass man mit dem Rad schnell an die Grenzen stößt, wenn man einen Wochenend-Einkauf nach Hause bringen oder gar einen Kasten Mineralwasser transportieren will.

Ein Leben ganz ohne Auto zwingt eben doch zu ganz erheblichen Kompromissen.

Das sei alles kein Problem, entgegnet mir da die Radfahrer-Fraktion. Gegen Kälte müsse man eben passende Kleidung anziehen. Gegen Regen auch. In zwei Packtaschen würde eine ganze Menge reinpassen und im Übrigen gäbe es ja auch noch Fahrradanhänger. Trotzdem: gerade eben war ich mit meinem Kombi bei Lidl, bei Edeka, beim Bäcker und beim Metzger. Inklusive Warten an der Kasse hat mich das keine Stunde gekostet und das Wochenende kann kommen.

Mit dem Rad hätte ich dafür dreimal fahren müssen. Das geht. Natürlich. Irgendwie. Aber bequem ist das nicht. Und der Zeitbedarf ist auf Dauer ganz enorm. Ich habe mir mal eine typische Woche ohne Auto ausgerechnet – also Mobilität nur mit dem Rad und öffentlichen Verkehrsmitteln. Am Ende kam dabei heraus, dass ich allein dann allein für das tägliche Hin und Her einen ganzen Tag mehr Zeit benötigen würde. Busse und Bahnen fahren nämlich nie genau passend zum eigenen Terminplan. Man muss also sein ganzes Leben nach dem Fahrplan ausrichten und hat immer wieder Zeit raubende Leerzeiten, die überbrückt werden wollen.

Wer damit kein Problem hat, dem sei es gegönnt. Mein Kopf jedoch steckt noch voller Pläne und Ideen und die brauchen alle irgendwie Zeit aus dem endlichen Budget meines Lebens.

Da Autofahrer mittlerweile in der Lübecker Innenstadt kaum noch halt machen, fallen die Fahrradfahrer hier mittlerweile ganz besonders ins Auge. Ihr Kennzeichen ist die erwähnte „passende Kleidung“. Jack Wolfskin scheint unter ihnen ganz besonders beliebt zu sein. Der Laden in der Breiten Straße ist daher wohl ganz gut im Geschäft. Radfahrer abseits von ihrem Fahrrad erkennt man schnell am unhandlichen Helm in allen Farben des Regenbogens. Und natürlich am unvermeidlichen Rucksack.

Über Stil und Aussehen reden solche Leute nicht. Bei der typischen Lübeckerin ist eher Funktionskleidung angesagt. Also grellbunte Anoraks und, bequem weite Jeans und Cargo-Hosen. Nach schicken Frauen darf man sich daher hier nicht umsehen. Die findet man eher im Hamburg. Deshalb fahre ich auch gerne in die Elbphilharmonie oder die Hamburger Staatsoper, wenn mir nach Kultur zumute ist. Das Lübecker Stadttheater hat zwar eigentlich ein recht gutes Programm, aber es liegt eben mitten in der Altstadt. Demnächst wird man es nur noch nach einem ausgedehnten Spaziergang erreichen können. Die Straße davor wird nämlich nach Bürgerwunsch in eine autofreie Zone umgewandelt. Mit Sitzbänken zum Innehalten und ausreichend Ständern für die Fahrräder.

Wobei eigentlich niemand mit dem Fahrrad zur Oper fährt. Außer Lübeckern vielleicht.

Der eigentliche Grund hinter dem Öko-Gewissen

Ich habe mich übrigens gewundert, woher diese Fahrrad-Versessenheit kommt. Ist es wirklich nur Umweltbewusstsein? Glauben die Leute allen Ernstes, dass Automotoren den Planeten gefährden? Gibt es wirklich so viele Leute, die sich gerne in überfüllen Bussen und Bahnen fortbewegen? Merken die nicht, dass der ÖPNV ziemlich zeitraubend und unflexibel ist und am Ende doch nur eine sehr begrenzte Mobilität erlaubt? Schätzen die wirklich nicht die problemlose Verfügbarkeit und Flexibilität, die letztendlich nur ein eigenes Auto bieten kann?

Oder stecken dahinter in Wirklichkeit völlig andere Gründe?

Nach zahlreichen Diskussionen in Facebook-Gruppen rund ums Fahrrad, bin ich mir ziemlich sicher, dass Umweltbewusstsein nur die halbe Geschichte ist. Mit Radfahrern, die aus sportlichen Motiven auf zwei Rädern unterwegs sind, kann man nämlich recht entspannt kommunizieren. Das Problem sind eher die Überzeugungstäter, die eine moralische Überlegenheit zur Schau tragen und sich gerne als die „besseren“ Menschen präsentieren.

Bei dieser Klientel stieß ich nämlich regelmäßig auf dasselbe Bild und das reicht von der unzureichenden Ausbildung über den schlecht bezahlten Job bis zur Arbeitslosigkeit. Es geht hier also um Menschen, die sich eher im unteren Bereich der Gesellschaft bewegen und es einfach nicht geschafft haben, etwas aus sich zu machen. Entsprechend gering ist auch das Einkommen und das reicht dann eben nicht für ein eigenes Auto.

Ein ähnliches Bild ergibt sich übrigens auch, wenn man sich die Vita bekannter Politiker aus der grünen und linken Ecke ansieht. Ein abgeschlossenes Studium haben da nur wenige vorzuweisen und wenn, dann haben sie Politikwissenschaften, Philosophie, Religionswissenschaften und ähnliche Dinge studiert und nicht selten das Studium vorzeitig abgebrochen. Im wahren Leben kann man damit natürlich nichts erreichen. Aber die Politik bietet die ideale Plattform, um im Namen der Umwelt und der sozialen Gerechtigkeit gegen all die „Reichen“ vorzugehen, die einfach besser waren als man selbst und daher im Leben etwas erreicht haben.

Und selbst wenn der Triumpf darin besteht, dass sie mit ihren fetten SUVs nicht mehr in die Stadt fahren können.