Beziehung: Wer zwei Frauen liebt, muss nicht untreu sein
Eine Frau hat herausgefunden, dass sie von ihrem Mann bereits seit zehn Jahren betrogen wird. Sie ist entrüstet. Sie ist enttäuscht. Sie ist ratlos und fragt sich, wie sie ihm je wieder trauen kann. Genau diese Frage äußert sie in einem Online-Portal. Die Antworten fallen wie erwartet aus. Die meisten kommen von anderen Frauen und die sind unisono der Meinung, dass so ein Kerl jeden Vertrauensbonus verspielt hat. Für so einen gibt es nur eines: ganz schnell vor die Tür setzen. Das klingt plausibel. Das ist naheliegend. Doch man kann es auch anders sehen.
Die Frage war bei Quora nachzulesen. Das ist ein Portal, in dem man Fragen über alles mögliche stellen kann, die dann von Leuten beantwortet werden, die sich als Experten auf dem jeweiligen Gebiet fühlen. Wer eine Frage zu Computertechnik hat, bekommt also Antworten von IT-Experten, wer etwas über Deutschland wissen will, trifft auf Leute, die hier wohnen und so weiter. Die Qualität der Antworten ist erstaunlich hoch.
In diesem Fall lautete die Frage: „Wie kann ich meinem Mann wieder trauen, nachdem er mich zehn Jahre lang mit einer anderen Frau betrogen hat?“ Die Frage mag zwar etwas naiv klingen und die spontane Antwort liegt eigentlich auf der Hand. Doch wenn eine Frau so eine Frage stellt, dann ist das ein Indiz dafür dass sie nicht zu spontanen Reaktionen neigt. Und dass sie ernsthafte Probleme damit hat, das Naheliegendste zu tun und den Mann einfach zu verlassen.
Sie ist natürlich geschockt über die Erkenntnis, dass er schon seit einem Jahrzehnt hinter ihrem Rücken eine Andere hatte. Aber offensichtlich hat sie ansonsten große Wertschätzung für die Ehe mit ihm. Sie scheint glücklich mit ihm zu sein und er bedeutet ihr offensichtlich viel. Vermutlich ist es umgekehrt genauso, denn die Frage impliziert ja auch, dass er nicht mit der Andere davonziehen will, sondern ebenfalls an einer Fortsetzung der Ehe interessiert ist. Sie ist also daran interessiert, die Ehe aufrecht zu erhalten. Nur mit dem Vertrauen hat sie Probleme.
Und genau diese Tatsachen lösten bei mir eine ganze Reihe von Gedanken aus.
Wer sich auf einen Menschen einlässt und sich entscheidet, das ganze Leben mit ihm zu teilen – und das ist ja wohl der Fall, wenn man jemand heiratet - der hat dafür gute Gründe. Doch kein Mensch ist vollkommen, auch wenn das am Anfang manchmal so aussieht. Man bekommt ihn immer nur als Komplettpaket. Man kann sich nicht die Eigenschaften aussuchen, die man an ihm schätzt und die anderen einfach weglassen. Man muss beides zusammen nehmen. Dinge, die man an diesem Menschen mag und für die man ihn liebt. Und Dinge, die man eigentlich absolut nicht ausstehen kann.
Mann muss also tolerieren können, dass sie absolut chaotisch ist, ständig irgend etwas sucht und mit jedem Problem überfordert ist, um sie als einmalige Liebhaberin, inspirierende Gesprächspartnerin, grandiose Köchin oder einfach hinreißende Frau genießen zu können. Denn niemand ist vollkommen und keine Frau vereinigt alle Eigenschaften in sich, die Mann eigentlich gerne hätte. Was natürlich auf Männer genauso zutrifft.
Das führt manchmal dazu, dass sie in seinen Augen die beste Partnerin ist, die man sich vorstellen kann. Aber der Sex mit ihr ist doch eher von der üblichen Sorte. Oder sie ist eine liebenswerte Frau, die er gerne ansieht, mit der er gerne zusammen ist und die auch nach Jahren noch die alte Begierde in ihm weckt. Aber gemeinsame Interessen gibt es eigentlich nicht und irgendwie führt jeder sein eigenes Leben.
Und dann passiert es. Er trifft eine Frau, die ein völlig anderes Ich in ihm weckt. Eine Bekanntschaft auf dem Kongress, bei der er gar nicht anders konnte, als sofort ins Bett mit ihr zu springen. Und mit der er sich seitdem immer wieder mal trifft, um seine Triebe auszuleben. Nein, seine Frau will er wegen ihr eigentlich nicht verlassen. Aber die kleinen heimlichen Treffen zum Sex will er auch nicht mehr vermissen. Denn er liebt beide Frauen. Nur eben jede auf eine andere Art und Weise.
Eine andere Variante ist der brave Familienvater. Die erste Frau seines Lebens hat er gleich geheiratet. Sie haben mittlerweile zwei Kinder, wohnen in einem hübschen Haus am Stadtrand und sind eigentlich das, was man eine Vorzeigefamilie nennt. Er hat Karriere gemacht und einen anspruchsvollen Beruf. Sie hält ihm den Rücken frei, geht voll in ihrer Mutterrolle auf und ist ansonsten alles von der Haushälterin über die Köchin bis zur Gärtnerin. Das ist zwar alles irgendwie von gestern, aber beide fühlen sich eigentlich recht wohl mit dieser klassischen Aufgabenteilung.
Er ist der Mann, auf den man sich verlassen kann. Der Vater, der seinen Kindern den Weg ins Leben ebnet. Nur als Liebhaber ist er eigentlich nicht mehr gefragt. Und die Liebe zu ihrer ist der Verantwortung für die Familie gewichen. Sex ist zwar selten geworden, aber es gibt da ein starkes Wirgefühl und er würde seine Frau nie verlassen.
Für die erregenden Momente im Leben hat er Katrin. Sie arbeiten zusammen. Sie verstehen sich. Sie ergänzen sich. Sie verwirklichen gemeinsame Projekte und freuen sich über gemeinsame Erfolge. Sie sind nicht einfach Kollegen. Sie sind ein unzertrennliches Team. Sie leben zwar ihre eigenen Leben, aber sie haben Sympathien füreinander. Sie mögen sich und hin und wieder schlafen sie miteinander.
Beide Männer sind eigentlich keine Fremdgänger der oberflächlichen Art. Sie sind nicht ständig auf der Suche nach neuen Reizen und ficken auch nicht jede, nur weil sie die Gelegenheit dazu ergeben hat. Sie haben eine Frau, die ihnen viel bedeutet, zu der sie stehen und für die sie sich verantwortlich fühlen. Doch das Leben hat ihnen eine Zweitfrau beschert, die anders ist und die Wüsche befriedigt, die bisher unerfüllt blieben und die die Andere nicht erfüllen kann.
Eigentlich spricht nichts dagegen, die Situation so zu belassen wie sie ist. Denn alle Beteiligten sind zufrieden damit und wo es kein Problem gibt muss man auch nichts ändern.
Doch Menschen sind nun mal so wie sie sind. Uns sie denken im Rahmen der Werte, die ihre jeweilige Gesellschaft ausmachen. Und das zu gehört in der christlich geprägten Welt er ausschließliche Anspruch auf die Liebe und Treue des Anderen. Man könnte auch sagen, es geht um einen gesellschaftlich normierten Besitzanspruch. Denn nicht umsonst spricht sie von „ihrem“ Mann und er von „seiner“ Frau. Nicht ohne Grund heiraten Menschen, obwohl sie wissen, dass es keinen Rechtsanspruch auf Liebe gibt und jede zweite Ehe wieder geschieden wird. Mit der Folge, dass es heißt, sie oder ich, sobald eine andere Frau in seinem Leben auftaucht. Dann ist er der Ehebrecher und sie fragt sich, ob sie ihm verzeihen kann.
Dabei wäre doch eigentlich der gemeinsame Weg der richtige Weg. Aber dem stehen eben meist starke Emotionen im Weg. Verletzte Gefühle. Oder Besitzansprüche. Denn wenn er bei ihr bleiben will, dann heißt das doch, dass er etwas für sie empfindet. Und wenn er zwei Frauen liebt, dann ist das eben so und sie wird nichts daran ändern können.
Aber sie kann damit leben lernen. Sie kann erkennen, dass eine Beziehung immer mit Kompromissen verbunden ist – genieße was du liebst und toleriere, was du nicht ausstehen kannst. Und dass Männer durchaus in der Lebe sind, zwei Frauen zu lieben. Jede auf eine andere Weise.
Ob das bei Frauen ähnlich ist, vermag ich nicht zu beurteilen. Mein Gehirn tickt eben wie das eines Mannes. Aber ich meine, so ganz unlogisch sind seine Schlussfolgerungen nicht.