Radwege der sinnlosen Art

Nehme den Autos Platz weg und schenke ihn den Radfahrern. So sieht für viele Gemeinden heute Verkehrspolitik aus. Und weil es nicht ganz billig ist, neue Radwege zu bauen, malt man sie ganz einfach auf die Fahrbahn. Auch da, wo eigentlich gar kein Platz dafür ist. 

Seitdem Europa grün tickt, gilt das Fahrrad als die Lösung der städtischen Verkehrsprobleme schlechthin. Angeblich braucht man im urbanen Raum gar kein Auto und kann alles mit dem Rad erledigen, was es zu erledigen gibt - vom Frühstücksbrötchen bis zum Wochenendeinkauf und vom Kasten Bier bis zum Kneipenbesuch. Selbst Großstädte wie Hamburg - in denen man den Verkehr noch nie in den Griff bekommen hat - reden daher mittlerweile von Radschnellwegen und glauben, damit ihre schon vorn Jahrzehnten verbockten Verkehrsprobleme in den Griff zu bekommen. Entstanden ist bisher wenig und selbst was es gibt, sieht über weite Strecken eher wie Flickwerk als ein richtiger Schnellweg aus. 

Berlin legt inzwischen ganze Straßenzüge lahm und meint, sie mit etwas Grün und ein paar Parkbänken in lebendige „Begegnungsorte“ der schönen bunten Vielfalt verwandeln zu können, von der die Stadt geprägt wird. Mehr als vermummte Türkenmütter hat man dort allerdings noch nicht gesehen. Die einheimische Bevölkerung macht eher einen Bogen drum und ärgert sich darüber, dass man jetzt das Auto drei Straßenblöcke weiter parken und die allwöchentlichen Einkäufe mühsam zu Fuß heranschleppen muss. 

Radwege, die richtig Mut erfordern

Lange Zeit gab es ja eigentlich nur zwei Sorten von Radfahrern: Die Sportler in den Versionen Rennrad oder Mountain Bike und die Radreisenden. Beide sehen das Fahrrad eher als Sportgerät an und radeln einfach nur aus Spaß. Dass man ein Fahrrad auch als profanes Transportmittel nutzen kann, glauben eigentlich nur ein paar Ökofreaks - oder diejenigen, die sich aus unterschiedlichen Gründen kein Auto leisten können. Letztere sind zahlreicher geworden, seitdem es in diesem Land immer mehr prekäre Jobs gibt, von denen niemand vernünftig leben kann. Aber auch die Ökos radeln meist nicht aus Umweltgründen, sondern weil sie keiner vernünftigen Arbeit nachgehen und folglich auch kein Geld in der Tasche haben. 

Er hört einfach auf ...

Die neueste Kaste auf zwei Rädern sind die Lifestyle-Radler. Sie fahren nicht aus Notwendigkeit, sondern weil es gerade angesagt ist. Ihr Kennzeichen sind stylische E-Bikes mit edlen High-Tech-Komponenten und fetten Akkus. Besonders seitdem sich die Fahrradbranche richtig Mühe gibt und E-Bikes nicht mehr wie Fahrräder mit Hilfsmotor aussehen, hat ihre Zahl deutlich zugenommen. Viele von ihnen sind Senioren, die ohne Kraft aus der Steckdose vor jeder Steigung kapitulieren würden. Der Rest rekrutiert sich aus den Großstadtjuppys, die sich mit dem E-Bike so richtig grün fühlen, während der SUV in der Garage wartet. 

Die Radfahrer von heute sind also eine sehr differenzierte Gemeinde, in der alle Schichten und Denkweisen vertreten sind. Die kann eine Gemeinde natürlich nicht ignorieren. Schließlich reden alle von der grünen Verkehrswende und das Auto gilt als der Klimakiller schlechthin, der unbedingt aus der Innenstadt verdrängt werden muss. Also kauft man sich E-Busse, die die halbe Zeit am Akku hängen müssen und sorgt für Radewege, koste es, was es wolle. 

Das Zauberwort heißt „Rückbau“. Es wird von unzähligen grüngestrickten Verkehrsplanern gepredigt, die seit Jahren von Gemeine zu Gemeine ziehen und eigentlich eine ganz simple Botschaft vertreten: Macht die Stadt für Autos unattraktiv und alle werden aufs den ÖPNV umsteigen. Nehmt den Autofahrern die Parkplätze weg und sie werden aufs Fahrrad umsteigen.

Soll man das ernstnehmen?

Soweit die Ideologie.  

Dabei wird vergessen, dass auch in der verkehrsberuhigten Innenstadt Menschen leben. Und die bestehen nicht nur aus Ökofreaks, sondern auch aus ganz normalen Bürgern, die ihr Auto durchaus zu schätzen wissen. Und die wollen auch nicht unbedingt mit dem Lastenanhänger durch die Gegend strampeln, nur um einen Kasten Bier nach Hause zu schleppen. Und es wird gerne ignoriert, dass eine Stadt, die man nur noch umständlich erreichen kann, früher oder später eine tote Stadt ist. Schließlich haben immer weniger Leute Lust, hohe Parkgebühren zu zahlen und sich von grünen Stadtplanern schikanieren zu lassen, nur weil die sich in den Kopf gesetzt haben, jeden samt Einkaufstüten in den Nahverkehr zu zwingen. 

Schon heute kann man in vielen Städten sehen, wohin der Fahrradhype führt: Das Leben spielt sich mittlerweile in den Einkaufszentren am Stadtrand ab, wo man kostenlos parken kann und nicht von den allgegenwärtigen städtischen Straßenräubern verfolgt wird. In der City gibt währenddessen ein Einzelhändler nach dem anderen auf, weil er von den paar Radlern nicht leben kann. Die bestellen nämlich mittlerweile auch online, weil auch denen alles andere zu mühsam ist. 

Wer soll hier noch durchblicken?

Bei einer kürzlichen Reise entlang der Deutschen Alpenstraße ist mir der allgegenwärtige Fahrrad-Hype so ziemlich in jedem Touristenort begegnet. Ich war mit einem Wohnmobil unterwegs und nicht selten war die Straße nur so breit, dass links und rechts gerade mal ein paar Zentimeter blieben, um nicht auf der einen Seite mit dem Gegenverkehr und auf der anderen mit den Radfahrern zu kollidieren. Ich möchte nicht wissen, was ein Brummifahrer dabei denkt. So ein Lastzug ist nämlich noch ein gutes Stück breiter als mein Wohngefährt auf Transporter-Fahrgestell. Er kann also gar nicht anders, als den aufgemalten Radweg mitzubenutzen, damit ihm der entgegenkommende Linienbus nicht die Rückspiegel abreißt. 

Das wissen auch die Radfahrer und vermeiden daher tunlichst solche Pseudoradwege. Ich habe zumindest nicht ein einziges Mal einen von ihnen auf der 1,5 m breiten Spur gesehen, die ihnen das Überleben sichern soll. Zumal die meisten dieser Radspuren nicht allzu weit führen. Schon beim nächsten Hindernis hören sie urplötzlich auf und es ist Absteigen angesagt. Ein Fußgängerüberweg mit Verkehrsinsel oder eine Abbiegespur genügen meist schon und die ganze Fahrradfreundlichkeit ist am Ende. Auch an Kreuzungen kommt es oft zu recht abenteuerlichen Fahrbahnmarkierungen, die mehr Rätsel aufgeben als Lösungen schaffen. 

Eine halbherzige Lösung ist eben keine richtige Lösung. 

Wobei man Städteplanern zugute halten muss, dass sie nicht selten schlicht und einfach vor einem unlösbaren Problem stehen. Die meisten Städte sind eben in einer Zeit entstanden, in der das Automobil noch Science Fiction war. So richtig planen kann man da eigentlich nichts. Man kann sich bestenfalls zwischen unterschiedlichen Kompromisslösungen entscheiden. 

Oder man kann sich von grünen Ideologien leiten lassen und den größeren Teil der Bevölkerung einfach aus der Stadt verdrängen, bis die Stadt keine Stadt mehr ist. 

Auf diesem Radweg fahren ganze 7 Fahrräder - pro Stunde.