Warum Kreative nie Beamten sind

Bei Huffington Post konnte man vor einiger Zeit einen schönen Artikel lesen. Es ging um Kreativität und was die Menschen ausmacht, die man zu Recht Kreative nennt. Eigentlich habe ich mir selbst die Frage nie gestellt, ob ich selbst kreativ bin oder nicht. Gut, ich nehme die Gedanken anderer Leute, stelle daraus ein paar vernünftige Sätze zusammen und verkaufe das Ganze als Artikel, Prospekt oder Website. So ganz nebenbei schreibe ich auch ein paar Bücher, die hoffentlich eines Tages fertig werden und ihre Leser finden. Dahinter steckt bestimmt ein gewisses schöpferisches Können. Aber ist das schon Kreativität?


Bei Kreativen denke ich eher an einen Bildhauer, der aus hartem Stein eine Skulptur aus fließend weichen Linien und genau den richtigen Proportionen formt. Ich denke an die alten Meister, die es fertigbrachten, mit wenigen gekonnten Pinselstrichen eine Landschaft zu skizzieren, bei deren Anblick man sofort die richtige Stimmung empfindet. Und ich denke an Leute wie Bach und Beethoven, die eine Musik geschaffen haben, an die bisher niemand heranreichen konnte.

Im Vergleich dazu kocht meine Kreativität doch auf ganz kleiner Flamme.

Was einen Kreativen ausmacht

Kreative Menschen sind Tagträumer und verlieren manchmal das Gefühl für Zeit und Raum. Sie sind gute Beobachter. Sie kennen keine festen Arbeitszeiten. Sie sind gerne allein, sehen Lebenskrisen als Chance und sind immer auf der Suche nach neuen Eindrücken und Erfahrungen. Sie verstehen es, Gedanken, Fakten und Ideen miteinander zu verbinden. Sie machen Fehler und haben kein Problem damit. Sie sind neugierig, gehen öfter auch mal ein Risiko ein, sind leidenschaftlich, idealistisch und verspüren den starken Drang, sich auszudrücken.

So jedenfalls fasste der unbekannte Autor dieses Artikels seine Beobachtungen zusammen und untermauerte seine Thesen mit zahlreichen Beispielen.

Ich muss sagen, in vielen dieser Punkte finde ich mich wieder.

Frei von Zeit und Raum

Meine Freundin wirft mir manchmal vor, ich würde frei von jeglichem Zeitgefühl leben. Zum Beispiel, wenn ich nachmittags mit ihr ausgehen wollte und um vier immer noch entrückt vor dem Computer sitze und die Tastatur bearbeite.

Tatsächlich ist es so, dass mein Leben sehr wenig nach der Uhr verläuft. Wenn ich einen Termin habe, bin ich natürlich pünktlich da. Aber während Andere jeden Tag pünktlich zur selben Zeit mit ihrer Arbeit beginnen, fängt bei mir jeder Tag anders an. Manchmal checke ich schon kurz nach Sonnenaufgang meine eMails. An anderen Tagen bin erst um elf soweit, endlich mit einem eigentlich schon überfälligen Job zu beginnen.

Es kommt vor, dass ich den halben Tag im Internet vertrödle, obwohl mein Terminkalender überläuft. Manchmal sehe ich mir mitten am Tag einen Film an. Oder ich entscheide mich spontan zu einer kleinen Runde mit dem Fahrrad, während ich mir einrede, den dringenden Artikel am späteren Abend zu schreiben. Aber es gibt auch Tage, da vergesse ich zu essen, weil ich mitten in einem Thema stecke und mich einfach nicht vom Monitor weg bewegen will.

Ich glaube, das hat schon etwas von einem kreativen Chaos. Und es sagt mir, dass ich für einen gewöhnlichen Job mit festen Arbeitszeiten völlig ungeeignet wäre. Als Sachbearbeiter hätte ich vermutlich Probleme, mit dem geistigen Leerlauf fertig zu werden. Und als Beamter würde man mich vermutlich früher oder später entlassen, weil ich den gesunden Menschenverstand über eine in Paragraphen gegossene Regel gestellt habe.

Träume einfach träumen

Haben Sie schon einmal das Bedürfnis verspürt, sich mitten am Tag einfach eine Stunde hinzulegen? Nicht weil sie müde sind, sondern einfach, weil sie das Bedürfnis haben, nichts zu tun und ihren Gedanken nachzugehen?

Ich kenne solche Situationen und häufig gebe ich der Versuchung auch nach. Arbeit läuft schließlich nicht weg und die wirklich guten Ideen entstehen selten am Schreibtisch. Tagträumen ist für mich keine verschwendete Zeit. Es ist ein Bedürfnis wie Essen und Trinken. Es ist das freie Spiel der Gedanken, das ich brauche, um mit mir selbst klar zu kommen und neue Ideen zu entwickeln.

Wann es mit diesem Bedürfnis angefangen hat, weiß ich nicht so genau. Ich vermute es war während der größten Lebenskrise, die ich bisher zu verdauen hatte. In einer Situation, in der ich nicht mehr weiter wusste und das Gefühl hatte, vor einer Wand an unlösbaren Problemen zu stehen. Als ich aus dem Tagtraum erwachte, war die Wand irgendwie deutlich niedriger und ich hatte sogar eine Tür entdeckt, um hindurch zu gehen.

Vielleicht hat mich das gelehrt, Briefe von Gläubigern, der streitsüchtigen Ex, irgendwelchen Behörden und sogar dem Finanzamt nicht mehr so ernst zu nehmen, sondern einfach mal eine Woche liegen zu lassen. Beim letzten Umzug habe ich einen ganzen Stapel solcher Briefe entdeckt, die ich nie geöffnet hatte und die mittlerweile nur noch nutzloses Papier waren, weil sich die Probleme dahinter längst irgendwie aufgelöst hatten.

Lernen, verstehen, verknüpfen

Meine Kunden haben manchmal den Eindruck, dass ich alles verstehe, den großen Durchblick habe und für alles die richtigen Worte finde. Sie haben keine Ahnung, wie es wirklich aussieht.

Ich habe Kunden erlebt, die haben mir zwei Stunden lang alles über ihr Geschäft erzählt und ich hatte trotzdem keinen Schimmer, womit die eigentlich ihr Geld verdienen. Ich habe Ingenieure interviewt und von dem, was sie mir erzählten, nur einen Bruchteil verstanden. Ich habe für Auftraggeber gearbeitet, die wussten eigentlich selbst nicht so richtig, was ich eigentlich für sie tun kann - und waren am Ende ganz happy über das Ergebnis.

Das hat mir ein paar Eigenschaften in mir bewusst gemacht, die vielleicht nicht ganz alltäglich sind: Ich habe keine Angst vor dem Neuen und finde es faszinierend, in Themen einzusteigen, von denen ich vorher absolut keine Ahnung hatte. Mein Lernverhalten ist zwar recht langsam, aber ich habe die Gabe mitbekommen, komplizierte Zusammenhänge zu erfassen und aus einem Berg ungeordneter Informationen klare Sätze, strukturierte Kapitel und verständliche Gedankenstränge zu formulieren.

Risikobereit bis zum Leichtsinn

Es gibt Menschen, die scheuen jedes Risiko und lassen sich auf nichts ein, ohne sich vorher rundum abgesichert zu haben. Solche Menschen machen eine "ordentliche" Ausbildung, suchen sich einen "sicheren" Job und arbeiten sich fleißig die Karriereleiter hinauf und von Gehaltserhöhung zu Gehaltserhöhung. Reich werden sie meist nicht. Aber sie leben ein geregeltes Leben zwischen Familie und Reihenhaus und gehen am Ende pünktlich in die lange vorher geplante Rente.

Die ganz Ängstlichen werden Beamte. Nicht nur, weil ihnen dadurch ein Job bis ans Lebensende sicher ist. Sondern vor allem, weil sie sich nur an die festgelegten Regeln halten müssen und immer genau wissen, was zu tun ist. Das nimmt dem Leben jede Unwägbarkeit. Aber es ist auch ein stinklangweiliges Leben. Ein Leben, das man eigentlich nur ertragen kann, wenn man nebenbei noch ein Hobby hat, das die üppige Freizeit ausfüllt.

Wenn ich mir dieses Kontrastprogramm ansehe, wundert es mich nicht, dass ich nie einen guten Angestellten abgegeben und an ein Beamtendasein gar nicht erst gedacht habe. Dafür ist mein Geist wohl viel zu sehr auf Unvernunft gepolt und ich folge eher mal einer spontanen Eingebung, als mir alles reiflich zu überlegen.

Zu meinen Glanzzeiten hatte ich drei Autos und zwei Häuser, obwohl das mit hohen Kosten verbunden war und ich nicht sicher sein konnte, auch morgen noch mehr Geld zu verdienen, als man zum Leben braucht. Mein Banker fand das nicht wirklich gut und als die erste große Krise kam, hagelte es von allen Seiten Weisheiten im Sinne von "ich hab dich doch immer schon gewarnt".

Ja, das hatten sie, die Feiglinge. Aber Menschen wie ich hatten eben immer schon mehr Ideen als Möglichkeiten, sie zu verwirklichen. Und sie hatten noch nie Verständnis für Menschen, die den größten Teil des Tages mit einer Arbeit verbringen, die sie eigentlich nicht interessiert und ihren Leidenschaften keinen freien Lauf lassen können, weil das ja unvernünftig wäre.

So gesehen bin ich wohl doch ein Kreativer.