Die Angst, erwischt zu werden

Damals, als sie ihn zum ersten Mal unter ihr Höschen ließ, waren Sie in ihrem Zimmer. Ihre Eltern waren nicht zu Hause und dennoch hatten beide Angst, dass jeden Augenblick die Tür aufgehen könnte. Er hatte damals zum ersten Mal in natura gesehen, wie ein Mädchen zwischen den Beinen aussieht. Und sie war erstaunt, wie groß so ein Penis werden kann. Später gingen sie dann einen Schritt weiter. Und noch einen. Bis es schließlich passierte und sie ihren ersten heimlichen, zaghaften, unbeholfenen Sex hatten.

Ein erstes Mal, das sie nie vergessen werden. Genauso wenig wie die Angst davor, erwischt zu werden. Denn natürlich waren sie viel zu jung dafür. Aber alle anderen hatten es auch schon getan oder taten jedenfalls so.

Dieser Thrill, beim Sex erwischt zu werden geht vielen nie wirklich aus dem Kopf. Und es ist ein häufiges Mittel, um in Routine abgerutschte Beziehungen wieder in Schwung zu bringen und die Beziehung um eine neue Erfahrung zu bereichern. Und so tun sie es, wo man es normalerweise nicht tut. An einem warmen Sommerabend in den Dünen, während am belebten Strand die anderen Urlauber hin und her spazieren. Im Kino, wo es nie wirklich dunkel genug ist, um unentdeckt zu bleiben. Im Büro nach Feierabend, wo jeden Augenblick die Putzfrau hereinkommen könnte. Sonntags im Auto auf dem leeren Supermarkt-Parkplatz. Oder unter der Dusche im Sportclub, während in der Umkleide das Lachen der anderen Sportsfreunde zu hören war.

Fühlt sich mal jemand frei, darüber zu reden, dann hört sich das alles ganz spannend an und man hat den Eindruck, Sex an außergewöhnlichen Orten ist so ziemlich das geilste, was es gibt auf dieser Welt. Ein Kick, den man sich keinesfalls entgehen lassen sollte. Ein Replay des ersten Mals, als man noch Angst haben musste, von den Eltern erwischt zu werden.

Ich kann mir gut vorstellen, dass es damals noch spannend war. Es ging ja auch kaum anders, denn man hatte weder Geld für ein Hotelzimmer noch fand sich immer eine sturmfreie Bude, wo man es ungestört miteinander treiben konnte. Also musste es eben das Auto sein, dass für solche Zwecke alles andere als ein geeigneter Ort ist. Oder man musste einen geeigneten Augenblick nutzen, ohne genau zu wissen, wie lange der dauern würde. Ideal war das nicht. Aber man war ja schon froh, überhaupt eine Gelegenheit zu haben. Und alles war so neu und aufregend, dass man an jedem Ort konnte, auch wenn es noch so unbequem war.
Doch irgendwann merkt doch jedes Paar, dass der schönste Ort, um sich miteinander zu beschäftigen ein großes, weiches Bett ist. Da stößt man sich nirgends an. Da muss man keine unmöglichen Positionen einnehmen. Da kann man sich einfach auf das Eigentliche konzentrieren, ohne ständig daran denken zu müssen, was machen wir wenn …

Außerdem kann man zu Hause oder im geschützten Hotelzimmer genüsslich gegenseitig ausziehen. Man kann sich gegenseitig spüren und zwar von den Lippen bis zu den Fußzehen. Man kann sich überall anfassen und kann soviel Geräusche machen wie man will. In der öffentlichen Dusche muss er sie mit nicht unerheblichem Kraftaufwand an die Wand pinnen, während sie ihre Beine um seine Hüften wickeln muss, um sich ihm zu öffnen. In den Dünen muss man verdammt aufpassen, dass kein Sand dazwischen kommt und das Vergnügen beendet. Und im Auto ist es einfach zu eng, um überhaupt eine unverkrampfte Position zu finden.
So ein richtiges Vergnügen ist das nicht. Von Genuss ganz zu schweigen. Und einen richtig hemmungslosen Orgasmus hat auf diesem Weg vermutlich auch noch niemand bekommen. Was soll das Ganze also?

Es mag zwar reizvoll klingen und vermutlich hat jeder schon einen feuchten Traum in diese Richtung gehabt. Aber wirklich beim Sex entdeckt zu werden, will eigentlich niemand. Es ist schließlich alles andere als ein Vergnügen, wenn sich Nachbars Hund einmischen will, der gerade mit seinem Herrchen im selben Park unterwegs ist. Oder wenn so ein Auto mit Blaulicht neben der schaukelnden Liebeskutsche auftaucht und Männer in Uniform von irgend etwas von öffentlichem Ärgernis erzählen. Ganz zu schweigen vom Skandal im Kino, wenn man vom Personal mit hochrotem Kopf des Saales verwiesen wird.
Also mal im Ernst, wer diese Art von Kick braucht, der hat doch in Wirklichkeit ganz andere Probleme.