Lachnummer: Der Amtsschimmel wiehert digital
Sie sind die Letzten, die noch in Aktenordnern wühlen und träumen von der modernen Verwaltung. Sie wollen Google das Datensammeln verbieten und sind selbst die größten Datenkraken. Sie empfangen E-Mails, die sie dann ausdrucken und abheften. Sie wollen die ganz große Digitalisierung, stellen sich aber so ungeschickt dabei an, dass jeder Versuch kläglich scheitert. Einblicke in die bizarre Welt der Politiker und Beamten und ihr gestörtes Verhältnis zur Technologie.
Auch ich habe noch einen Briefkasten. Also nicht nur eine Mailbox, sondern einen richtigen Blechkasten mit Klappe, in den die Deutsche Post und andere Leute Papier einwerfen. So etwa alle zwei Wochen quillt dieses Relikt aus der Papierzeit über und ich nehme seinen Inhalt mit nach oben. Bunt bedrucktes Papier landet direkt im Papierkorb. Was in grauen Umschlägen daherkommt, stammt entweder vom Finanzamt oder von irgend einer anderen Behörde. Also nur lästiger Nervkram, den eigentlich niemand haben will.
Alle anderen kommunizieren eigentlich nur noch elektronisch mit mir - Kunden und Geschäftspartner, Bekannte und Freunde. Nur meine Freundin Claudia schickt mir einmal im Jahr eine Postkarte aus dem Urlaub. Sie ist eben eine Nostalgikerin.
Interessant dabei ist, dass all die Schreibtischtäter aus der öffentlichen Verwaltung mittlerweile eine E-Mail-Adresse haben. Zumindest steht die auf jedem Brief rechts oben. Nur scheinen die nie in ihr Postfach zu gucken. Zumindest habe ich noch nie auf eine Mail eine Antwort bekommen. Ein Beamter braucht es eben schwarz auf weiß, sonst zählt es nicht.
Kommunikation im Reich der Papiertiger
Kürzlich wollten sie Kfz-Steuer für ein Auto, das ich längst verkauft hatte. Diesen Job hat das Finanzamt irgendwann an das Hauptzollamt ausgelagert. Einen Zoll braucht man zwar im angeblich vereinten Europa nicht mehr, aber die Jungs sind eben noch immer da und müssen daher irgendwie beschäftigt werden. Einen „Vollstreckungsbeamten“ wollten sie mir ins Haus schicken, um die angeblich fälligen 248 Euro abzuholen. Es macht ihnen nichts aus, extra jemand aus der fernen Landeshauptstadt loszuschicken, um so einen Kleckerbetrag „einzutreiben“.
Oben rechts, wie gesagt, stand eine E-Mail-Adresse. Sie lautete Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, was mich schon misstrauisch machte. Ich schrieb also einen „Brief“ in elektronischer Form an den „sehr geehrten Herrn“, der mir die „Vollstreckungsankündigung“ geschickt hatte und teilte ihm mit, dass ich eben dieses Auto schon seit Wochen nicht mehr besitze und stattdessen ein neues Gefährt in der Garage stehe.
Eine Antwort bekam ich nicht. Dafür tauchte am genannten Termin bewusster Herr bei mir auf, packte ein Notebook aus und machte sich an seinen Amtsvorgang. Er war freundlich und auch ich begegnete ihm mit der nötigen Höflichkeit. Ich zeigte ihm die Abmeldebestätigung für meinen ehemaligen Citroên und den Kfz-Schein meines nagelneuen Renault. Er tippte etwas in seinen Computer, klappte selbigen zufrieden wieder zu und verabschiedete sich.
Auf meine Frage, ob er denn meine E-Mail nicht erhalten habe, meinte er: „Die E-Mail gehen bei uns in der Postsstelle ein. Dort werden sie ausgedruckt und per Hauspost verteilt. Vermutlich hat sich da etwas überschnitten“. Aha, dachte ich mir. In seiner Behörde geht eben alles seinen gewohnten Gang wie schon seit hundert Jahren. Post kommt in der Poststelle an und wird dann vom Amtsdiener in die verschiedenen Amtsstuben verteilt.
E-Mails liest man nicht. Schon aus Prinzip.
Im Vergleich dazu ist das Finanzamt geradezu fortschrittlich. Allerdings scheint man auch hier Probleme mit allem zu haben, was man nicht in Aktenordnern stapeln kann. In meinem Fall ging es um die Steuererklärung für mein bescheidenes kleines Unternehmen. Sie war zwar erfolgreich online in den digitalen Irrgarten der Behörde abgeschickt worden, hatte aber dort keinerlei Reaktionen ausgelöst.
Stattdessen erhielt ich eine Gewerbesteuerfestsetzung – die natürlich auf grauen Umweltpapier einging. Sie bezog sich auf einen fiktiven Unternehmensgewinn in fantasievoll luftiger Höhe (das Finanzamt nennt so was „Schätzung“). Modern wie ich bin, schickte ich dem Sachbearbeiter eine klärende E-Mail. Ich legte ein PDF des Sendeprotokolls bei, mit dem die Abgabe der Steuererklärung bestätigt wurde, und hielt die Sache damit für erledigt.
War sie aber nicht, denn es kam umgehend ein Gewerbesteuerbescheid von der Gemeinde. Die wollte umgehend 4000 Euro von mir sehen. Wieder kommunizierte ich auf die mir zur Gewohnheit gewordene Weise, schickte der oben rechzs genannten Sachbearbeiterin eine Mail und ging ebenfalls davon aus, dass die Sache damit erledigt sei.
Das stellte sich allerdings als ziemlich naiv von mir heraus. Und es brachte mir die wertvolle Erkenntnis ei , dass man bei Behörden eigentlich nur ernst genommen wird, wenn man seine Botschaft in einem Brief formuliert und mit händischer Unterschrift versieht. Das ist nämlich dann ein „Dokument“, das man an den Vorgang anhängen und in einen Ordner abheften kann. Beamten lieben nämlich Aktenorder. Ich vermute, weil sie die auf dem Schreibtisch stapeln und sich dahinter verstecken können.
Statt einer Antwort erhielt ich nämlich eine Mahnung. Und schon eine Woche später noch eine. In der dritten stand dann „Wenn Sie nicht bis zum … dann ...“ Alle drei Schreiben fischte ich erst Wochen später aus dem Briefkasten, nachdem ich von einer Reise zurückgekehrt war. Per E-Mail hätte ich sie unterwegs lesen und darauf reagieren können.
Ich führte mehrere Telefonate mit meiner Steuerberaterin, die ihrerseits wiederum mehrere Anrufe beim Finanzamt tätigte. Dort gab man nach wochenlangem Hin und Her endlich zu, die Steuererklärung zwar erhalten, aber nicht „bearbeitet“ zu haben. Die Kosten für den Zeitaufwand meiner Steuerberaterin fanden sich dann auf ihrer nächsten Rechnung wieder.
Die Gemeinde schickte mir zwar einen neuen Bescheid. Aber sie bestand trotzdem auf die Mahngebühren in mittlerweile dreistelliger Höhe. Das heißt Sie wollten Gebühren für eine Forderung, die nie berechtigt war. Eine Logik, die sich wohl einem Menschen außerhalb der Paragrafenwelt nie erschließen wird. Ich lieferte mir einen mehrwöchigen Briefwechsel mit einer Dame, die mit geradezu fanatischer Verbissenheit um die Gebühren kämpfte und mir dafür seitenlange Briefe voller §§ schickte. Per Briefpost natürlich, denn ich hatte es längs aufgegeben, mit Leuten aus der Verwaltung per E-Mail zu korrespondieren.
Eine Zumutung namens Elster
Eigentlich zeugt es ja von wenig Feingefühl, wenn das Finanzamt sein Online-Portal ausgerechnet nach dem Vogel nennt, der für seine diebischen Eigenschaften bekannt ist. Vielleicht ist es aber auch als unterschwellige Absichtserklärung zu verstehen. Oder die Leute beim Finanzamt sind sogar stolz darauf, ihre Mitbürger zu bestehlen, ohne dabei diesen Straftatbestand zu erfüllen. Das erklärt auch, weshalb man im Inneren der allgegenwärtigen Büroklötze der Finanzbürokratie einen Typus Mensch findet, von dem eigentlich nur unsympathische Eigenschaften ausgehen.
Elster steht übrigens für „Elektronische Steuererklärung“. Das Portal unter der Adressse www.elster.de ist daher genauso undurchschaubar wie die dahinter stehende Behörde. Ich würde sogar sagen, es ist so ziemlich die größte Katastrophe, seit es das Worldwide Web gibt. Ich habe noch nie eine Website gesehen, die so umständlich zu handhaben ist und den Anwender so viel Zeit kostet, wie diese Zumutung der deutschen Bürokratie. Aber da das gesamte Steuersystem eine einzige Zumutung ist, kann man eben auch in dieser Hinsicht nichts anderes erwarten.
Das beginnt schon beim Anmelde-Prozedere, das gut und gerne eine halbe Stunde in Anspruch nimmt. Danach erhält man dann nicht einfach die Zugangsdaten, um seine Steuererklärung abschicken zu können. Nein, man muss erst mal auf den Briefträger warten, der dann nach einer gefühlten Ewigkeit einen grauen Brief bringt. Klar doch, ohne Briefpost geht es natürlich nicht. Die wird übrigens nur an die Anschrift verschickt, unter der man amtlich gemeldet ist. Digitale Nomaden sind also im deutschen Steuersystem nicht vorgesehen.
Ich mache übrigens meine private Steuererklärung über einen Online-Dienst. Das klappt bis hin zur Übermittlung der Steuererklärung per Elster. Es ist mir allerdings noch nie gelungen, den daraus resultierenden Steuerbescheid ebenfalls online zu erhalten. Das geht angeblich, aber ich habe wirklich keine Lust, erst in die Tiefen des Systems einzusteigen, um das zu realisieren.
Fragt man nach, warum das alles so umständlich ist, erhält man immer wieder dieselbe Antwort: Datenschutz. Ich frage mich allerdings, welche Glaubwürdigkeit eine Behörde hat, sich auf den Datenschutz zu berufen, die selbst die größte Datenkrake des Landes ist. Die Finanzbehörden arbeiten mit einem Steuergesetz, das sich irgendwo zwischen Intransparenz und Willkür bewegt. Selbst die Leute im Amt blicken da nicht mehr durch. Gleichzeitig hat man seit Jahrzehnten alles getan, um den Bürger so transparent wie möglich zu machen.
Die Behörde weiß genau, wer wo ein Konto hat, selbst wenn es sich im Ausland befindet. Nicht nur das, es genügt bereits ein „Anfangsverdacht“, um einen Einblick bis in die Transaktionsdaten zu erhalten. Eine Gegenwehr ist praktisch unmöglich und Missbrauch sind Tür und Tor geöffnet. Schließlich will der Staat immer mindestens 20 % abstauben, wenn Geld den Besitzer wechselt und hat dabei vor allem die im Visier, die sich nicht wehren können: einfache Arbeiter und Angestellte, Handwerker und kleine Unternehmen.
Der bürokratische Aufwand für Unternehmen ist gigantisch und für die Banken mittlerweile nahezu existenzbedrohend.
Die digitale Behörde, eine unendliche Geschichte
Svenja Schulze war bis 2018 Ministerin für Innovation, Wissenschaft und Forschung in NRW. Jetzt ist sie Umweltministerin und gibt gen au das Gegenteil von dem von sich, was sie zuvor vertreten hat. Von Innovation hält sie wohl nicht viel, denn die Digitalisierung ist für sie eine der größten Bedrohungen für den Planeten. Allerdings hat sie davon offenbar nur wenig Ahnung und forderte kürzlich allen Ernstes, dass man die Auflösung von Smartphones herabsetzen solle, damit fürs Streaming nicht so viele Daten übertragen werden müssen. Die würden nämlich Rechenleistung kosten und damit Energie. Und Energie ist per se umweltschädlich.
Bei solchen einfach gestrickten Politikern darf man sich nicht wundern, wenn Die Behörden vom Bund bis hinunter zur kleinsten Gemeinde noch immer nach den Methoden der 50er Jahre arbeiten. Für jeden Kleinkram muss man persönlich vorstellig werden und das natürlich am hellichten Tag, wenn die meisten Menschen eigentlich einer Arbeit nachgehen. Man muss in die Stadt fahren und seine Zeit in irgendwelchen Wartesälen verplempern, nur um einen Pass zu verlängern, irgend ein Formular abzugeben oder sein Auto zuzulassen.
Dabei könnte man statt eines Papierformulars vor Ort problemlos auch ein Onlineformular zu Hause ausfüllen. Alles, was der Staat über den einzelnen Bürger wissen muss, hat er ohnehin in seinen zahlreichen Datenbanken gespeichert. All die lästigen Routineaufgaben ließen sich daher zeitsparend vor dem Bildschirm abwickeln und die Mitarbeiter der Behörden hätten Zeit, sich um die Dinge zu kümmern, in denen tatsächlich menschliches Zutun erforderlich ist.
Doch passiert ist bisher nichts. Ich besitze zwar einen maschinenlesbaren Personalausweis, aber seinen Nutzen konnte ich bisher noch nicht ergründen. Ich habe den Eindruck, hier trifft staatliche Regelungswut auf eine Realität, die längst zur Nebensache geworden ist. Ich klicke also nur gelangweilt weiter, wenn mir der Bürgermeister von Lübeck mal wieder weismachen will, dass die digitale Verwaltung unmittelbar vor der Tür stehe.
Bisher sehe ich nämlich nichts als eine Website im Design der sechziger Jahre, angetrieben von einer Webtechnologie der ersten Generation. Darin stellt sich die Stadt als innovativen Wissenschaftsstandort und eine alte Hansestadt vor, die man unbedingt besuchen sollte. Die Struktur ist unmöglich und unter den zahlreichen Selbstbeweihräucherungen der einzelnen Behörden die gewünschte Information zu finden, erfordert geradezu unendliche Geduld.
Na ja, von einer Stadt in rotgrüner Hand kann man wohl nichts anderes erwarten. Hier werden Parkplätze beseitigt, um öde Pflastersteinflächen zu schaffen, deren Funktion sich vermutlich nur den Stadtplanern erschließt. Bürgerbüros werden geschlossen und dann wieder eröffnet, nachdem man die Mitarbeiter entlassen hat, denn demnächst läuft das ja alles online, papierlos, digital.
Der Auftakt dazu wurde dann auch in allen Medien gefeiert. Man könne jetzt Termine für alle Behörden online vereinbaren, hieß es. Also einfach Wunschtermin aussuchen, Nummer geben lassen und schon entfällt die Wartezeit vor Ort. Das Problem ist nur: Weil alles zerspart wurde, gibt es den nächsten freien Termin leider erst in vier Wochen und die Verlängerung eines Personalausweises kann von der Idee bis zur Umsetzung gut und gerne zwei Monate erfordern. Früher hat man vor dem Urlaub gemerkt, dass der Perso abgelaufen ist, hat schnell ein Passfoto gemacht und hatte am Tag drauf Ersatz in der Tasche.
Als ich mein letztes Auto zulassen wollte, hätte ich drei Wochen auf den nächsten Termin bei der Zulassungsstelle warten müssen. Ich habe daraufhin hundert Euro bezahlt und der Händler hat das für mich übernommen. Es gibt nämlich mittlerweile Profis, die das als Dienstleistung anbieten. Die reservieren dann gleich mal dreißig Termine auf Vorrat und verwandeln die Unfähigkeit der Behörde in ein Geschäftsmodell.
An der Digitalisierung beißen sich mittlerweile die Programmierer die Zähne aus.