Zeitungssterben: Eine Ära geht zu Ende und das ist gut so
Die Idee der Zeitung geht auf das 17. Jahrhundert zurück. Im 18. Jahrhundert erlebten vor allem Zeitschriften eine Blütezeit. Die ältesten noch heute erscheinenden deutschsprachigen Zeitungen wurden allesamt im 18. Jahrhundert gegründet. Das Format Zeitung hat also eine lange Vergangenheit und das Verlagswesen blickt mittlerweile auf eine gut 200-jährige Geschichte zurück. Doch die Verbreitung von Nachrichten über bedrucktes Papier hat längst ihren Zenit überschritten und das Geschäftsmodell der Verlage liegt in seinen letzten Zuckungen.
Besonders nach dem zweiten Weltkrieg haben sich nicht wenige Verlage zu milliardenschweren internationalen Medienkonzernen entwickelt. In den meisten Städten hatte die Zeitung nicht nur das absolute Meinungsmonopol. Sie war auch das zentrale Medium, an dem kein Händler, kein Handwerker und auch keine Privatperson vorbei kam. Wer auf sich aufmerksam machen wollte, musste in der Zeitung inserieren. Wer Mitarbeiter suchte, musste eine Stellenanzeige aufgeben. Wer eine Wohnung vermieten, ein Haus, Auto oder was immer verkaufen wollte, hatte ebenfalls keine andere Möglichkeit, als sich an die Anzeigenabteilung des Verlages zu wenden, bei dem die örtliche Zeitung erschien.
Entsprechend arrogant gaben sich die Verlage. Sie wussten, die örtliche Wirtschaft ist auf sie angewiesen, denn wer nicht wirbt, der stirbt. Sie bestimmten letztendlich, was die Menschen erfuhren und wer in der Öffentlichkeit eine Stimme hatte. Sie wurden von der Politik umworben, denn ihre Berichterstattung konnte Meinungen und damit Wahlen beeinflussen. Sie wurden von Demokraten gefürchtet und von Diktatoren zensiert. Doch sie machten immer glänzende Geschäfte.
Doch genauso wie die Erfindung eines Johannes Gutenberg Zeitungen und Zeitschriften erst möglich gemacht hat, so wurde mit dem Internet ihr Sterben besiegelt.
Selbst die einst renommierten überregionalen Tageszeitungen haben heute nur noch einen Bruchteil der Auflage, die sie vor 20 Jahren einmal hatten. Und wenn früher der „Stern“ ein schwergewichtiges Heft war, das mehr Werbung als redaktionellen Inhalt enthielt, tritt er heute eher bescheiden auf und ist nicht nur in seinem äußerlichen Format deutlich geschrumpft. Es funktioniert eben heute nicht mehr, sich eine umfangreiche Redaktion zu halten, weil nicht nur die Werbeeinnahmen sprudeln, sondern auch Abonnements gefragt sind und am Bahnhofskiosk dichtes Gedränge herrscht.
Heute lässt der Reisende den Bahnhofskiosk links liegen, wenn er zum Zug eilt. Er hat seinen Notebook, sein Smartphone oder sein Tablet dabei und mehr braucht er auch nicht. Das beweist ein Blick in jeden beliebigen ICE, wo ein guter WLAN-Anschluss längst wichtiger ist als das Angebot an kostenlosen Zeitungen, das früher die erste Klasse aufwertete. Wo früher die Köpfe hinter großformatigem Papier verschwanden, gibt man heute noch schnell der Kundenpräsentation den letzten Schliff, beantwortet seine E-Mails und liest sich quer durch das Angebot kostenloser Nachrichten. Eine Entwicklung, die irgendwann Ende der 90er Jahre begann und mittlerweile zur Normalität geworden ist.
Kaum jemand will heute noch eine Zeitung abonnieren und sich jeden Morgen in den Briefkasten werfen lassen. Die Online-Variante will erst recht niemand haben, zumal sie meist genauso teuer ist. Wozu auch? Wozu seine Informationsquelle auf einen einzigen Verlag konzentrieren, wenn Apps wie Feedly oder Google News genügen, um sich auf dem Laufenden zu halten?
In den Köpfen der Verlagschefs scheint das allerdings noch immer nicht richtig angekommen zu sein. Sie reden nach wie vor vom Qualitätsjournalismus und meinen, ihren Content verkaufen zu können wie es immer schon war. Doch ihre Leser reagieren nur noch genervt, wenn man sie zum Lesen eines Artikels zur Kasse bitten oder ihnen gar ein Abonnement aufnötigen will. Spiegel, Focus, Zeit, Süddeutsche & Co. tun noch immer so, als besäßen sie die Meinungshoheit und wären die Informationskönige. In Wirklichkeit findet investigativer Journalismus längst woanders statt. Spannenden Reportagen liest man nicht mehr in den etablierten Medien. Kritische Analysen und fundierte Hintergrundberichte kann man von den angestellten Redakteuren und Auftragsjournalisten längst nicht mehr erwarten.
Statt dessen pflegt man in den Redaktionen Political Correctness und liefert gefällige Hofberichterstattung im Sinne der jeweiligen Regierung. Man verunglimpft alle, die nicht mit dem Mainstream schwimmen, und übersieht dabei, dass die Mehrheit der Menschen längst nicht mehr rot, grün oder schwarz wählt. Man betreibt Meinungsmache statt Aufklärung und Agitation statt Journalismus.
Wo früher jedes Blatt stolz auf sein eigenes Profil war und sich eine Süddeutsche deutlich von einer Frankfurter unterschied, beziehen heute fast alle Blätter ihr Nachrichtenmaterial unkommentiert aus denselben Quellen. Verlage unterhalten nur noch eine Kernredaktion und beteiligen sich stattdessen an Zentralredaktionen, die einen medialen Einheitsbrei liefern, der sich in Hamburg genauso liest wie in Bayern. Amerikaner haben dafür den Begriff „Ghost Newspapers“ erfunden. Zeitungen, die eine Medienvielfalt suggerieren, die es längst nicht mehr gibt.
Und so passiert es dann, dass alle Zeitungen die Studie einer amerikanischen Umweltorganisation übernehmen, die ohne nachvollziehbare Begründungen behauptet, Dieselmotoren wären geradezu tödlich und in europäischen Städten wäre die Luft so dreckig, dass jährlich zigtausende verfrüht sterben, weil ihr Körper die Vergiftung nicht mehr mitmacht. Nichts davon ist bewiesen. Nichts beruht auf seriösen wissenschaftlichen Arbeiten. Einen derart offensichtlichen PR-Bericht dürfte eigentlich keine seriöse Zeitung unkommentiert verbreiten.
Guter Journalismus ist objektiver Journalismus, soweit das überhaupt menschenmöglich ist. Er verlangt nach gut bezahlten Journalisten, die selbst recherchieren, anstatt nur abschreiben, was man im Internet nachlesen kann. Doch die bekommen heute von einem Verlag kein Gehalt mehr, von dem sie leben können. Also schreiben sie, was der Verlag publizieren möchte und wenn es die Faktenlage nicht hergibt, produzieren sie eben fantasievolle Fake-Nachrichten und erhalten dafür auch noch einen Medienpreis.
Ist es da ein Wunder, dass breite Bereiche der Bevölkerung keinen Cent mehr für Nachrichten ausgeben will und die seit Jahrzehnten etablierten Medien schlicht und einfach als „Lügenpresse“ bezeichnet?
Schon seit Jahren werden Redaktionen zusammengelegt und einst große Medientitel aus der Papierwelt sind zur Handelsware geworden, die zum Schleuderpreis zu haben ist. Anfang März 2019 hat sich Du Mont als erster Verlag dazu entschlossen, sein gesamtes Zeitungsgeschäft en bloc abzustoßen, weil man mit der guten alten Zeitung heute einfach kein Geld mehr verdienen kann. Man muss also kein Prophet sein, um das Ende der Zeitungsära vorherzusehen.
Eigentlich war Papier als Informationsträger schon immer mit einem irrwitzigen Aufwand verbunden. Da mussten Bäume gefällt und in großtechnischen Anlagen in Papier verwandelt werden. Tonnenschwere Rotationsmaschinen mussten eine ganze Nacht lang laufen, um dieses Papier mit Hektolitern an Farbe zu bedrucken. Kurierdienste mussten das Produkt bis zum entlegensten Kiosk transportieren. Zeitungsausträger mussten in aller Frühe aufstehen, damit die Leser ihr Blatt pünktlich zum Frühstück im Briefkasten hatten. Und schon am nächsten Tag war all das Papier nichts mehr wert und konnte nur noch entsorgt werden.
Da ist es entschieden sinnvoller, die ohnehin kurzlebigen Nachrichten von der Materie Papier zu befreien und nur noch in digitaler Form zu verbreiten. Das spart nicht nur Ressourcen, sondern auch den gesamten Aufwand für Produktion und Logistik, den ein greifbares Produkt eben mit sich bringt.
Die meisten Verlage haben das durchaus erkannt. Aber sie können sich einfach nicht von ihrem uralten Vertriebsmodell lösen und halten sich geradezu starrköpfig an der Hoffnung fest, die Leser würden einfach vom Papier zum Tablet wechseln, um „ihre“ Zeitung weiterhin lesen zu können.
Auch alle anderen Digitalprojekte aus der Verlagswelt haben sich bisher als Fehlinvestitionen erwiesen. Sobald die Internet-Nutzer auf eine Bezahlschranke stoßen, klicken sie weiter und sobald sie von zu viel Werbung genervt werden, suchen sie sich eine andere Informationsquelle. Das alte Geschäftsmodell, Content zu verkaufen und zusätzlich an Werbung zu verdienen, funktioniert eben im Web nicht mehr. Und die Gewinne von Früher lassen sich ebenfalls nicht mehr erwirtschaften.
Wobei es durchaus genügend Menschen gibt, die bereit sind, für gute Inhalte auch gutes Geld bezahlen. Aber es müssen eben Inhalte sein, die einen echten Mehrwert bringen. Inhalte, die frei von Verlagsinteressen sind, frei von politischer Einflussnahme, frei von Werbekunden, frei von irgendwelchen Ideologien. Und dafür braucht man keinen Verlag, der ja letztendlich nur ein Wirtschaftsunternehmen ist und redaktionelle Inhalte lediglich als Vehikel sieht, um Werbung zu verkaufen. Dafür genügt es, wenn sich ein paar engagierte Journalisten zusammentun und wieder richtig guten Journalismus machen.
Vermutlich wird genau das die Zukunft des Journalismus sein: Nachrichtenportale, die mehr biten als das tätliche Nachrichtengewitter. Online-Zeitungen, die man abonniert, weil man gute Artikel, fundierte Analysen, sauber recherchierte Berichte und spannende Reportagen lesen will. Und das gelingt nur mit unabhängigen Journalisten, die von ihrer Arbeit leben können und keine Fake News produzieren müssen, nur um eine bestimmte Meinung zu verbreiten.