Shades of Grey: Sexualität der dunkleren Art
Seit dem überraschenden Erfolg von „Fifty Shades of Grey“ der britischen Schriftstellerin E. L. James hat die dunklere Seite der Sexualität plötzlich den Mainstream erreicht. Der gleichnamige Film war zwar nur ein fader Abklatsch des Buches, aber seitdem weiß man auch in der Vorstadt, dass es Männer gibt, die beim Sex ihre dominante Seite ausleben - und Frauen, die sich darauf einlassen.
Eine Buchstabenfolge, die bisher nur in ganz bestimmten Kreisen gebräuchlich war, tauchte seit „Fifty Shades of Grey“ plötzlich auch in der Mainstream-Presse auf: BDSM. Laut Wikipedia ist das Akronym eine Art Zusammenfassung mehrerer Spielarten der Sexualität, wie Bondage & Discipline (B&D), Dominance & Submission (D&S) und Sadism & Masochism (S&M). Ihnen allen ist gemein, dass es um Beherrschung und Unterwerfung geht, um Schmerz zufügen und Schmerz ertragen, um Befehlen und Gehorchen, um oben und unten.
Wer sich näher informieren will, kann ja mal hier nachlesen.
Das Spiel zwischen Mann und Frau war noch nie das, was man in Liebesromanen liest. Es geht dabei um weit mehr als Liebe und Zärtlichkeit. Männern geht es vor allem um Sex. Sie sind schlicht und einfach scharf auf sie. Sie schielen auf das, was sich unter ihrer Bluse abzeichnete. Sie bekommen einen Steifen, wenn sie ihrem prallen Hintern nachsehen. Sie wollen sie flach legen und mit ihr tun, wofür ein Weib eben da ist. Ja und irgendwie wollen sie sie besitzen und ganz für sich allein haben. Sie wollen sie beherrschen und über sie bestimmen. Sie fühlen sich für sie verantwortlich und wollen für sie sorgen. Aber insgeheim wollen sie sie auch beherrschen und dominieren.
Das alles spielt sich natürlich ganz tief in unserem Inneren ab. Da, wo die dunklen Begierden sitzen, in den Ecken unserer Psyche, die wie besser für uns behalten, um niemand zu erschrecken. Schließlich sind wir doch zivilisierte Menschen. Wir helfen den Frauen in den Mantel. Wir halten ihnen die Tür auf. Wir spielen rund um die Uhr den Gentleman und behaupten sogar, dass wir die Emanzipation gut finden.
Doch, wie gesagt, ganz tief da drinnen sitzen auch Gedanken, Begierden, Fantasien, die wir nur sorgfältig dosiert ans Tageslicht lassen. Der Eine mehr, der Andere weniger.
Frauen sind da ganz anders gestrickt. Die Emanzen mit Gender-Ausbildung werden jetzt zwar aufschreien (die halten das ja tatsächlich für Wissenschaft) werden jetzt zwar aufschreien. Aber jeder Mensch, der sich ein noch gesundes Denkvermögen bewahrt hat, weiß auch, dass es zwischen Mann und Frau ganz erhebliche Unterschiede gibt. Nicht nur die, die man auf den ersten Blick erkennen kann. Auch innen drin sieht es völlig anders aus und Siegmund Freud ist sicher nicht der Einzige, der beim Versuch steckengeblieben ist, in die Tiefen der weiblichen Psyche vorzudringen.
Ja, auch Frauen haben Träume. Auch sie haben Begierden, die sie sorgsam für sich behalten, weil sie einfach nicht zum Zeitgeist passen. Und auch ihr Kopfkino spielt ihnen manchmal Szenen vor, die eigentlich nicht sein dürfen. Eine emanzipierte Frau träumt schließlich nicht davon, vergewaltigt zu werden. Sie träumt auch nicht davon, mit zwei Männern gleichzeitig ... Nein, das darf nicht sein und das darf man auch unter keinen Umständen zugeben.
Trotzdem, es sind die Frauen, die sich in Kleider hüllen, die eigentlich kaum noch in der Lage sind, die Funktion eines Kleidungsstücks zu erfüllen. Sie sind es, die ständig ihren Körper zur Schau tragen und sich gut dabei fühlen, wenn ihnen möglichst viele Männerblicke folgen. Sie kaufen auch die verführerischen Dessous, die zu nichts anderem dienen, als von einem Mann ausgezogen zu werden. Sie gehen ins Waxing-Studio und lassen eine äußerst schmerzhafte Prozedur über sich ergehen, nur um sie so nackt und bloß zu präsentieren, wie eine Frau nur sein kann.
Nein, sie suchen nicht den sanften, verständnisvollen Frauenversteher, der sie auf Händen trägt. Sie stehen eher auf den kräftigen Kerl, der noch richtig Mann ist und sich nicht an der Nase herumführen lässt. Bei seinem Anblick werden sie feucht, dass es ihnen geradezu peinlich ist. Unter seinen Berührungen schmelzen sie dahin und wollen nur noch genommen werden. Nicht sanft und zärtlich, sondern hart, fordernd, kräftig, männlich.
Ich hatte mal eine Freundin, mit der ich viele Jahre zusammengelebt habe. Beim ersten Date war sie eigentlich alles andere als beeindruckt von mir. Das gestand sie mir zumindest später. Ich war einfach nicht ihr Typ - bis zu diesem einen Augenblick, an den ich mich selbst überhaupt nicht erinnern kann. Ich hätte über den Tisch gelangt und einfach stumm ihre Hand gedrückt. Ich habe offenbar fest zugepackt und genau diese unscheinbare Handlung hat bei ihr von einem Augenblick zum anderen alles verändert. Das gestand sie mir erst Jahre später, als ich längst erkannt hatte, mit was für einer Art von Weib ich es bei ihr zu tun hatte. Nein, sie war keine Frau ohne Selbstbewusstsein. Sie hatte ihr Leben durchaus im Griff. Aber ein Mann war für sie ein Mann. Ein Mann zahlte im Restaurant ganz selbstverständlich die Rechnung. Ein Mann blickt durch und weiß, was er will. Ein Mann versteht es, eine Frau an die Hand zu nehmen, aber er würde nie den Fehler machen, ihr in die Hände zu fallen.
Ich vermute, wie so vieles in den Tiefen unserer Psyche reicht auch dieses Verhaltensmuster bis weit in die Vorzeit zurück. In einer Welt der wilden Tiere hatte die Frau allein einfach keine Chance. Sie brauchte einfach den starken Mann, der sich mit einem Mammut anlegen konnte. Sie tat alles, um ihm zu gefallen, denn ohne seinen Schutz war sie verloren. Und natürlich hatte er auch das Recht, über sie zu bestimmen und sie zurechtzuweisen, wenn sie sich seinem Willen nicht beugte. Daran hat sich seit Jahrtausend nicht viel verändert. Auch wenn die Spielregeln heute etwas indirekter umgesetzt werden.
Der Mann in der Höhle nahm ein Hanfseil, um sie zu fesseln, wenn sie widerspenstig war. Er nahm einen Stock, um sie zu disziplinieren, wenn sie ihm nicht gehorchte (B&D). Er war ihr ganz selbstverständlich ihr Herr und sie hatte sich ihm unterzuordnen (D&S). Es bereitete ihm vermutlich eine animalische Lust, sie sich zu unterwerfen und sie empfand es als völlig normal, wenn er sie sich so erzog, wie er sie haben wollte (S&M).
Der Mann in der Reihenhaussiedlung kann das natürlich nicht mehr so unmittelbar ausleben. Aber das muss er auch nicht, denn er kennt viel subtilere Methoden. „Keine Unterwerfung ist so vollkommen, wie diejenige, die den Anschein der Freiheit wahrt. Damit lässt sich selbst der Wille gefangennehmen“. Das hat Jean Jaques Rousseau schon im 18. Jahrhundert erkannt und damit treffend beschrieben, wie das Spiel zwischen Staat und Volk, aber auch zwischen Mann und Frau heute aussieht. Der Stock gehörte noch bis ins 20. Jahrhundert hinein um Inventar eines jeden Hauses und es waren durchaus nicht nur die Kinder, die ihn zu spüren bekamen. Mittlerweile ist zwar sein Gebrauch weitgehend verpönt. Aber was sich über Jahrtausende hinweg in unser Bewusstsein eingegraben hat, lässt sich da nicht einfach löschen. Es wird zum Gegenstand der Fantasie und taucht in nächtlichen Träumen wieder auf. Es ist noch immer präsent und wartet nur darauf, wieder freigelassen zu werden.
In einem Artikel über BDSM in Men’sHealth konnte man unlängst lesen: „Ich liebe diesen Endorphinkick, wenn ich Schmerzen beim Sex erfahre. Nicht zu wissen, was als nächstes kommt. Sich völlig hingeben, ausgeliefert sein, auch mal was aushalten können und sich voll in die Hände eines Mannes zu begeben ...“ Wer da nicht ein ganz tief sitzendes Bedürfnis erkennt, hat das menschliche Wesen nicht verstanden. Wir sind eben nicht das, was wir nach außen vorgeben zu sein. Manchmal kommt daher ein vergrabenes Bedürfnis an die Oberfläche, über das man nicht redet, weil man sich eigentlich dafür schämt.
Dabei hat diese graue Schattenseite der Lust nichts mit Brutalität zu tun. Es geht hier nicht um frustrierte Männer, die ihre Frauen mit Fäusten und Fußkicken traktieren. Es geht nicht um blaue Augen und Hämatome am ganzen Körper. Es geht nicht um Gewalt, es geht um Disziplizierung, Bestrafung, Zurechtweisung. Wenn man mit Frauen in den einschlägigen Diskussionsforen redet, dann ist da schnell von Kindheitserinnerungen die Rede. Von einem strengen Vater, der seine Tochter auch durchaus mal übers Knie gelegt hat. Von einer Mutter, die ihren Worten auch schon mal mit dem Kochlöffel Geltung verschaffte. Aber es wird auch immer gesagt, dass die Schläge gerecht waren, dass man sie eigentlich verdient hat und dass man ein Zuhause hatte, in dem man sich beschützt und geborgen fühlen konnte.
Nein, vor einem Mann, der sie grün und blau schlägt, würden diese Frauen sofort davonlaufen. Aber sie waren glücklich, einen gefunden zu haben, der ihr Wesen versteht. Einer, der ihnen die Sicherheit bietet, die sie schon als Kind geschätzt haben. Einer, der sich um alles kümmert, mit dem sie selbst überfordert sind. Einer, der ihnen durchaus mal den nackten Hintern versohlt, wenn sie sich daneben benommen haben. Einer, von dem sie sich geliebt fühlen, weil er ihre Schwächen erkennt und ihnen die Grenzen setzt, die Sicherheit und Geborgenheit erzeugen. Einer, bei dem sie sich rückhaltlos fallen lassen können und genau wissen, dass sie wieder aufgefangen werden.
Ich habe einen Privatschriftsteller kennengelernt, der in seiner Freizeit Spanking-Erzählungen schreibt. Spanking ist ein Teilbereich von BDSM mit einem ausgeprägten Bezug zu Erziehung und Bestrafung. Diese Vorliebe ist vor allem im angelsächsischen Raum entstanden, wo besonders seit der prüden viktorianischen Zeit unzählige Bücher in diesem Genre erschienen sind. Die Bücher dieses Autors sind unter dem Pseudonym Wolfram Steffen auch bei Amazon zu finden. In einem Gespräch mit ihm zeigte sich ein ein interessantes Teil, das genau ins Bild passt:
„Gut dreiviertel meiner Leser sind Leserinnen,“ so seine Aussage. „Viele von ihnen schreiben mir auch und berichten, weshalb es sie erregt, von jungen Frauen zu lesen, die von ihren Vätern, Lehrherrn oder Ehemännern gezüchtigt werden. Oft waren eigene Kindheitserlebnisse der Auslöser dafür. Meist ist es aber einfach dieses Gefühl, ausgeliefert zu sein, das die nicht ganz alltägliche Erregung auslöst. Ein Gefühl, das aus den Tiefen unserer Psyche zu kommen scheint und einfach da ist, ob das nun als politisch korrekt gilt oder nicht.
Bereits vor vielen Jahren kam ich mit einem jungen Paar zusammen, das wohl voll in der BDSM-Szene steckte. Anfangs war mir nur aufgefallen, dass sie immer ein schwarzes Halsband aus Leder trug, das offensichtlich zu ihren festen Accessoires zählte. Auch schienen beide ein Faible für hautenge Lederkleidung zu haben. Stutzig wurde ich allerdings erst, als ich den Ring bemerkte, der wohl ihr Ehering war. Er sah nicht einfach aus, wie ein Ehering eben aussieht. Seine Besonderheit war ein kleiner beweglicher Ring, der anscheinend keine Funktion, aber dafür eine eindeutig symbolische Bedeutung hatte.
So ein O-Ring ist, wie auch das besagte Halsband, ein unmissverständliches Kennzeichen für eine Sub. Als Sub - eine Abkürzung für „submissive“ - bezeichnet man in der Szene den unterwürfigen Teil einer BDSM-Beziehung. Das Gegenstück dazu ist der Dom, also der dominante Mann, der sie an der mehr oder weniger kurzen Leine führt und bei Szeneveranstaltungen gerne die Reitgerte in der Hand hält.
Zu eben so einer Party wurde ich eingeladen und als von Natur aus neugierig veranlagter Mensch wollte ich mir die Erfahrung natürlich nicht entgehen lassen. Die Szenerie dort wirkte auf mich durchaus befremdlich. Die Besucher traten fast ausschließlich als Paare auf. Er selbstbewusst und im gepflegten Lederdress, sie eher spärlich bekleidet und mit gesenktem Blick. Nahm er in der Lounge platz, ruhte sie wie selbstverständlich zu seinen Füßen. Nicht selten sorgte ein ledernes oder silbernes Halsband dafür, dass sie nicht von seiner Seite wich. Wenn sie Anzeichen von Unwilligkeit zeigte, setzte es einen leichten, aber spürbaren Hieb auf die Flanke.
Es war ganz offensichtlich ein reiner Herrenabend. Die anwesenden weiblichen Wesen schienen lediglich Staffage zu sein. Nicht alle waren wirklich jung, aber alle machten den Eindruck von Töchtern, die ihren Vater bei einer gesellschaftlichen Veranstaltung begleiteten. Die Konversation fand ausschließlich unter Männern statt, die von blutjungen Mädchen in verboten kurzen Röckchen mit Drinks versorgt wurden. Die Begleiterinnen hatten offensichtlich zu schweigen. Eine von ihnen äußerte den Wunsch, zur Toilette zu gehen. Ihr Herr reagierte mit einem missmutigen Blick und folgte ihr. Die Leine loszulassen galt offenbar als Tabu. Er folgte ihr auch ins Innere der Toilette und ich hatte keinen Zweifel daran, dass sie dort auf Privatsphäre nicht hoffen durfte.
Von Zeit zu Zeit gab es kleine Vorführungen. Eine Zofe wurde hereingeführt und über einen Strafbock gespannt. Ihr Herr hielt ihr eine Strafpredigt, deren Auslöser unerheblich ist. Er entblößte sie und versetzte ihr ein gutes Dutzend durchaus streng geführte Hiebe mit der obligatorischen Reitgerte. Sie wurde wieder losgebunden, ging vor ihm auf die Knie, um die Hand zu küssen, von der sie bestraft worden war und sich für die Zurechtweisung zu bedanken. Dann tänzelte sie mit verstriemtem Po davon und die Anwesenden klatschten zustimmend
Beim nächsten Act ging es um eine Sklavin. Sie warf sich ihrem Herrn zu Füßen und winselte um Gnade. Doch dieser dachte gar nicht daran. Er winkte zwei kräftige Burschen herbei. Das junge Weib wurde an den Händen gefesselt und an einem Seil hochgezogen. Die dürftigen Kleider wurden ihr schlicht und einfach in Fetzen vom Leib gerissen. Dann kam die neunschwänzige Katze zum Einsatz und ihr nackter Körper wurde mit Striemen versehen, während sie herzzerreißend winselte. Diesmal war der Applaus noch größer und die anwesenden Herren nickten sich zufrieden zu.
Ist das jetzt frauenverachtend? Ich hatte zumindest den Eindruck, dass die Damen des Abends ausnahmslos freiwillig da waren. Sie schienen ihre Rolle als Sklavin nicht unter Zwang zu spielen. Und wenn sich das eine oder andere Paar in ein Separee zurückzog, konnte ich mir lebhaft vorstellen, was sich dort abspielte.
Das Spiel zwischen Mann und Frau setzt eben ungeahnte Fantasien frei, wenn man sich frei fühlt, das auch zuzulassen. Darunter auch sehr dunkle Fantasien, die tief in unserer Seele schlummern und normalerweise nur in Ausnahmesituationen zum Vorschein kommen. Oder die Paare zu neuen Experimenten anregt, nachdem sie einen Film gesehen haben.