Als eine Ohrfeige zur Körperverletzung wurde

Zwei Generationen rückwärts gedacht und ein paar Ohrfeigen gehörten zum Standardrepertoire der Erziehung schlechthin. Für die Omas der heutigen Generation genügte damals schon eine freche Widerrede, um sich eine einzufangen. Heute verkünden die Teenies entrüstet über WhatsApp, sie seien geschlagen worden und yeigen eine leicht gerötete Wange als Beweis für ihre schwere Misshandlung. Sie wissen, dass ihnen die Anteilnahme ihrer Peers sicher ist.

Die Reaktionen folgen dann meist auch im Minutentakt und sie reichen von wortreichem Bedauern, über tiefste Entrüstung bis hin zum Ratschlag, die Alten anzuzeigen. Eine Ohrfeige rangiert schließlich heutzutage als Körperverletzung und so etwas darf man Eltern nicht durchgehen lassen. Meist siegt aber am Ende dann doch die Vernunft, oder besser gesagt die Angst, es mit den Eltern zu verderben. Denn die sind für einen Teenie schließlich lebensnotwendig. Wer soll sonst das neue iPhone bezahlen, das gerade herausgekommen ist?

Anlass für diesen Kommentar ist ein Fernsehfilm, den ich mit halbem Auge mitverfolgte, während ich mit dem Tablett in meinem Sessel lag und mit einer Freundin chattete. Da passierte es doch tatsächlich: Ein reichlich nerviger Teenager hatte es geschafft, seinen Vater endgültig zur Weißglut zu bringen. Der reagierte so, wie in so einer Situation eigentlich jeder Vater reagieren sollte, um die Göre in ihre Schranken zu verweisen: Er verpasste ihr eine saftige Ohrfeige. Sie taumelte zur Seite. Sie guckte ungläubig drein. Aber ihr freches Mundwerk war von einer Sekunde auf die andere verstummt.

Es war offensichtlich kein Routineverhalten. Es war nichts, was dieser Vater in so einer Situation schon immer getan hatte. Es war schlicht und einfach eine spontane Reaktion auf die Verbalattacken eines jungen Mädchens, das eindeutig den Bogen überspannt hatte.

Der Vorfall hat vermutlich so manchen Zuschauer mit Genugtuung erfüllt. Ich höre schon die Kommentare der über-Fünfzigährigen: „Das hat sie mehr als verdient“, „Das war schon lange überfällig“ oder "An seiner Stelle hätte ich sie jetzt ordentlich verdroschen."

Doch Autor und Regie hatten bestimmt, dass die Szene anders weiterlaufen sollte: Anstatt froh darüber zu sein, der Göre endlich ein Stoppschild gezeigt zu haben, setzte der betreffende Vater an, sich devot bei seiner Tochter zu entschuldigen. Ihr eigenes Verhalten war plötzlich irrelevant. Stattdessen schien er geradezu schockiert über seine Tat zu sein, während sie mit theatralischer Entrüstung davonlief und die Tür hinter sich zuknallte. Aus einer simplen Ohrfeige war ein ganz dramatischer und absolut verwerflicher Akt geworden. Der erhobene Zeigefinger war unübersehbar.

Früher hätte die Kleine allein schon für ihren ungebührlichen Abgang eine ausgewachsene Tracht Prügel bezogen. Hier hingegen wurde der Vater als ganz großer Übeltäter dargestellt und beichtete dann auch sein Vergehen reumütig seiner Frau, als diese später nach Hause kam.

Etwas anderes war natürlich im deutschen öffentlich-rechtlichen Erziehungsfernsehen nicht zu erwarten. In einem Land, in dem man schon Vierzehnjährigen das Recht einräumen will, über ihr eigenes Geschlecht zu entscheiden, spielen eben Eltern keine Rolle mehr. Seitdem das Land von linksgrünen Ideologen regiert wird, setzt sich immer mehr die Meinung durch, dass Erziehung eigentlich in die Hände des Staates gehört. Deshalb wurden auch nach jahrzehntelangem Nichtstun plötzlich überall im Land Kindergärten aus dem Boden gestampft und die Kleinen werden schon im Krabbelalter eingesammelt, damit Mutti und Vati arbeiten gehen können, während die Köpfe ihrer Kinder mit sozialistischem Gedankengut vollgestopft werden. Auch im stalinistischen Russland wussten die Machthaber, dass die Indoktrination schon bei den ganz Kleinen beginnen muss, wenn man gefügige Erwachsene haben will.

Wer etwas dagegen hat, dass man mittlerweile schon im Kindergarten einen mehr als fragwürdigen Sexualunterricht betreibt, wird als Rechter diffamiert. Wer lieber selbst die Werte bestimmen will, mit denen seine Kinder aufwachsen, kann nur ein Nazi sein und muss diffamiert, ausgegrenzt, mit allen Mitteln bekämpft werden.

Wer schon etwas länger auf der Welt ist, hat genügend Lebenszeit hinter sich, um die Wandlung unserer Gesellschaft zu beurteilen. Mit den Müttern der Flower Power-Bewegung hat sich der Begriff Erziehung geradezu zu einem Unwort entwickelt. Als A. S. Neill in den sechziger Jahren den Bestseller Summerhill: A Radical Approach to Child Rearing herausbrachte und die antiautoritäre Erziehung zum Ideal erklärte, empfanden Millionen von jungen Müttern die Idee als fortschrittlich, zukunftsweisend, einfach genial. Dass das Experiment Jahre später wegen unübersehbaren Misserfolgen aufgegeben wurde, hat niemand mehr mitbekommen.

Die Mütter der 68er-Bewegung hatten als Kinder und Jugendliche mehr Ohrfeigen bezogen, als sie zählen konnten. Die meisten von ihnen waren auch unter dem Regiment von Vätern groß geworden, für die Kindererziehung vor allem mit Stock und Lederriemen vollzogen wurde. Bei ihren eigenen Kindern hingegen wollten sie alles anders machen. Erziehung muss auch ohne Schläge möglich sein, so ihre Überzeugung. Kinder sind schließlich so etwas wie kleine Erwachsene. Man muss ihnen also nur gut zureden und sie werden ein Einsehen haben.

Eine Regel, die noch immer als modern gilt und stereotyp in jedem Erziehungsratgeber nachgebetet wird, der nach den 60er Jahren erschienen ist.

Das Ergebnis kann man fast täglich in jedem Supermarkt bewundern: Quengelnde Kids, die ihre Mutter fast zum Wahnsinn treiben, weil sie hier einen Müsliriegel, dort Schokolade und gleich darauf irgendwelches zuckersüßes Cereal einfordern. Manche brechen sogar in regelrechte Schreikrämpfe aus, wenn sie nicht bekommen, was sie wollen, während die hilflose Mutter mit hochrotem Kopf danebensteht und nicht weiß, was sie tun soll.

Das mit dem gut Zureden funktioniert eben bei kleinen Kindern nicht besonders gut, um nicht zu sagen, es ist völlig zwecklos. Kinder, die schon vom Krabbelalter an nie das Wort „nein“ gehört haben, lernen eben schnell, dass man nur laut genug sein muss, um alles zu bekommen, was das Herz begehrt. Eine Erkenntnis, die dann natürlich im Teenager-Alter ihre Fortsetzung findet. Mit dem Unterschied, dass es dann statt um Süßigkeiten um überteuerte Markenklamotten geht.

Auf der amerikanischen Plattform Quora konnte ich vor kurzem den Hilferuf eines Vaters lesen. Seine vierzehnjährige Tochter bestehe auf dem neuesten iPhone, schrieb er. Er könne es sich aber nicht leisten, über tausend Euro für ein Telefon auszugeben. „Was soll ich tun?“

„Erlauben Sie ihr, sich ein iPhone zu kaufen - von dem Geld, das sie sich selbst verdient und zusammengespart hat,“ schrieb ich ihm. Die Teenies, die heute alle Wünsche erfüllt bekommen, wenn sie nur penetrant genug danach verlangen, sind nicht selten dieselben, die mit zwanzig völlig verschuldet sind, weil ihnen nie jemand beigebracht hat, dass Geld nicht aus dem Automaten kommt, sondern man erst arbeiten muss, bevor man sich einen Traum erfüllen kann.

Aber ich habe den Eindruck, dass es heute nicht mehr angesagt ist, einem Kind oder Jugendlichen etwas beizubringen. Stattdessen scheint die Generation Z nie irgendjemand erzogen zu haben. Sie sind einfach irgendwie aufgewachsen, ohne dass ihnen jemand Dinge wie Benehmen, Höflichkeit, Achtung oder gar Respekt beigebracht hat. Sie haben nie Entbehrungen erlebt und hatten nie einen Kindheitstraum, der sich nie erfüllt hat.

Vor allem hatten sie nie einen übermächtigen Vater, der von ihnen Gehorsam und Respekt gefordert hat. Wie soll ein Vater auch Respekt einfordern, wenn er keinerlei Machtmittel hat, um sich durchzusetzen? Wenn selbst eine verdiente Ohrfeige Entrüstung auslöst. Wenn er eigentlich nur noch dafür da ist, die Wünsche von Frau und Kindern zu erfüllen und selbst das als ganz selbstverständlich angesehen wird.