Ich, ich und nochmals ich
Es geht um Narzissmus. Also um das, was umgangssprachlich als Selbstverliebtheit oder Selbstbewunderung beschrieben wird. Um Menschen mit einer ausgeprägten Ichbezogenheit, die sich selbst als den Mittelpunkt des Universums sehen und deren Gedanken auch nur um das eigene Ich, die eigene Bedeutung und die eigenen Bedürfnisse kreisen.
Eigentlich sollten solche Menschen doch sofort auffallen – negativ auffallen. Schließlich sind sie ständig mit der eigenen Selbstinszenierung beschäftigt, reden fast ausschließlich von sich selbst und sehen auf alle anderen herab, die ihnen natürlich nicht das Wasser reichen können. Welche Frau will sich schon mit so einem aufgeblasenen Typen abgeben? Und welcher Mann ist ernsthaft an einer Frau interessiert, die vor allem sich selbst wichtig nimmt, immer im Mittelpunkt stehen und ständig hofiert werden will?
Der Grund ist wie immer, dass auch bei Narzissten vieles nicht so scheint, wie es in Wirklichkeit ist. Sie verhalten sich nämlich selten so plump, dass jeder von ihrem Tun und Sagen sofort auf den Charakter schließen kann. Sie haben sogar ein ausgeprägtes Gespür dafür, wie man sich verhalten muss, um sich positiv zu präsentieren und geschickt die ichbezogenen Motive zu kaschieren. Sie wissen genau, wie man ausschließlich das eigene Ego befriedigt, ohne dass es allzu sehr auffällt.
Was könnte daher besser für das Ego eines Narzissten sein, als die hübsche Blondine, die direkt einem Playboy Centerfold entsprungen sein könnte? Also gilt es, genau diese zu gewinnen, ohne dass sie merkt, dass sie eigentlich nur Mittel zum Zweck ist und es in Wirklichkeit darum geht, sich selbst ins Rampenlicht zu setzen.
Und wie könnte eine ausgeprägte Narzisstin wohl besser ihre Umwelt beeindrucken, als mit dem Mann im Porsche Cabrio, der noch dazu gut aussieht und alle Rivalinnen vor Neid erblassen lässt? Diesen gilt es also zu blenden und seine männlichen Urbedürfnisse anzusprechen, ohne dass er die eigentlichen Absichten erkennt.
Aber bleiben wir bei den weiblichen Narzissten, die das Spiel der Manipulation ganz besonders gut zu beherrschen scheinen. Ihre Opfer sind erfolgreiche Männer, die irgendwann merken, eigentlich nur Mittel zum Zweck zu sein. Die besonders tragische Variante sind Ehemänner, die bis zum Burnout schuften, um die Wünsche der Angebeteten zu erfüllen und den ihr eigenen Egotrip aufrecht zu erhalten.
Wobei der Anfang meist wie der ganz große Glückstreffer erscheint. Um seine Ziele zu erreichen, kann nämlich eine Narzisstin äußerst charmant sein und geradezu schauspielerische Talente entwickeln, um sich überzeugend von ihrer liebenswürdigsten Seite zeigen. Das hat zumindest eine Studie mit 3560 Teilnehmern ergeben, bei der unterschiedliche Erfassungsmethoden eingesetzt wurden, um ein möglichst umfassendes Bild von der tieferen Seele eines Narzissten zu erhalten*. Dazu gehörte die Analyse der Berichte von Menschen, die längere Zeit mit einem offensichtlichen Narzissten gelebt haben, genauso wie die Simulation von Face-to-Face-Situationen im Labor und Online-Befragungen.
Narzissten suchen nach Bewunderung. Und das immer und bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Gerade am Anfang einer Beziehung oder in der Phase des sich Kennenlernens erlangen sie diese, indem sie sich besonders charmant und einfühlsam geben, um das Objekt der Begierde mit diesen als angenehm empfundenen Eigenschaften für sich zu gewinnen. Denn welcher Mann weiß nicht eine Frau zu schätzen, die sich charmant gibt und eine gewisse Wärme ausstrahlt? Und wer sieht es nicht als echten Glücksfall an, wenn sie darüber hinaus auch mit einem begehrenswerten Äußeren zu gefallen weiß? Wer fühlt sich nicht geschmeichelt, wenn sich die ansonsten eher abweisende, ja eigentlich eingebildet wirkende Kollegin ausgerechnet ihm gegenüber von einer Seite zeigt, die er nicht für möglich gehalten hätte? Das wertet nicht nur das eigene Ego auf, sondern kurbelt auch die sexuellen Fantasien an. Denn jeder Mann fühlt sich toll, wenn er von einer Frau Besitz ergreifen kann, die andere bestenfalls ansehen dürfen.
Doch der Schein trügt. Narzissten werden bei aller Fassade in erster Linie von ihren Ich-Bedüfnissen bestimmt und suchen in Wirklichkeit nichts anderes als sozialen Status, materielle Vorteile, Selbstbestätigung und Bewunderung. Solange sie das erreichen, ist ihre Welt in Ordnung. Solange sie das Gefühl haben, im Mittelpunkt seiner Gefühle und Gedanken zu stehen, scheint auch die Beziehung intakt zu sein. Solange er keine Anstalten macht, eigene Bedürfnisse anzumelden, bleibt auch so etwas wie Harmonie bestehen. Doch die Gefahr lauert im Hintergrund.
Die erwähnte Studie hat nämlich ergeben, dass narzisstisch veranlagte Menschen irgendwann im Laufe einer Beziehung zu einer völlig anderen Strategie übergehen. Wenn es nicht mehr darauf ankommt, mit Charme seine Aufmerksamkeit zu erlangen und wenn es nicht mehr notwendig ist, mit Liebenswürdigkeit seine Gunst zu erhalten, wird nämlich schnell ein anderer Aspekt narzisstischen Verhaltens sichtbar. Denn, wie gesagt, das eigene Ich steht immer im Vordergrund. Und das eigene Selbstwertgefühl verlangt nach ständiger Bestätigung. Also wird sie damit beginnen sich selbst aufzuwerten, indem sie ihn abwertet. Sie wird anfangen, seine Schwächen zu betonen, um die eigenen Stärken umso besser herausstellen zu können. Sie wird seine Fehlschläge überhöhen, um die eigene Überlegenheit zu unterstreichen.
Das ist zwar nicht immer so und damit keine zwangsläufige Entwicklung. Aber die Psychologen sind zu der Erkenntnis gelangt, dass dies bei narzisstischen Partnern doch sehr häufig der Fall ist und damit ein eher typisches Verhaltensmuster darstellt.
Wobei es mittlerweile zur allgemeinen Erkenntnis gehört, dass Narzissten sehr häufig als Einzelkinder aufgewachsen sind. Sie stammen aus gut betuchten Familien, in denen die einzige Tochter die Prinzessin war, der alle Aufmerksamkeit zuteil wurde. Für ihre Mutter war sie das größte Glück auf Erden. Alle wollten nur das Beste für sie. Ihr Wunsch war Befehl und ihre Probleme waren Familienkrisen. Beste Voraussetzungen also, um aus einem jungen Mädchen einen hochnäsigen Teenager zu machen, der sich für etwas ganz Besonderes hielt. Und später eine eingebildete Frau, die mit dem Bewusstsein durchs Leben ging, die ganze Welt hätte ihr zu Füßen zu liegen.
Wenn man sich vor Augen führt, dass es die Mehrzahl aller Familien mittlerweile bei einem Kind belässt, muss man nicht viel Fantasie haben, um sich auszumalen, wie die Beziehungen von morgen aussehen werden.
Daher sollte der Mann von heute mit Neid eher sparsam umgehen. Denn vieles im Leben ist bei weitem nicht so wie es rein äußerlich zu sein scheint. Vielleicht ist ja die attraktive Blondine auf dem Beifahrersitz eine absolute Egomanin und der arme Kerl, der sie stolz durch die Gegend chauffiert muss sich Tag für Tag gewaltig anstrengen, um ihr eine Bühne zur Selbstdarstellung zu bieten. Oder was ist mit dem Date vom letzten Wochenende? Vielleicht diente ihr auffallend großes Interesse an dir allein dazu, unauffällig abzuchecken, ob du in ihr selbstgefälliges Weltbild passt. Oder ob es sich für sie auch auszahlt, dich an ihren teuer verpackten Körper zu lassen.
Um das möglichst früh zu erkennen, macht es Sinn, ein paar eindeutige Alarmsignale zu kennen:
Ist sie ein Einzelkind und war es immer gewohnt, ihren Kopf durchzusetzen? Dann wird sie aller Wahrscheinlichkeit nach auch dich um ihren Finger wickeln wollen. Zieht sie alle Blicke auf sich und ist sich ihrer Wirkung bewusst? Dann wird man dich zwar um sie beneiden, aber du wirst immer wieder hart um ihre Zuneigung kämpfen müssen. Tritt sie außergewöhnlich selbstbewusst auf und wirkt irgendwie überheblich? Dann hat sie definitiv ein übersteigertes Ego und du solltest dich auf einen ständigen Kampf mit ihr einstellen. Stellt sie hohe Ansprüche im Sinne von nur das Beste ist gut genug? Dann sucht sie einen Mann, der ihr den Lebensstil finanziert, den sie sich selbst nie leisten könnte.
Es gibt also Anzeigen genug. Man muss sie nur zu deuten wissen.
Steffen Wolfrath
*Stefanie N. Wurst und andere: Narcissism and romantic relationships: The differential impact of narcissistic admiration and rivalry. Journal of Personality and Social Psychology, 112/2, 2017. DOI: 10.1037/pspp0000113