Beziehung: Zusammen leben, getrennt wohnen
Zugegeben, ich fand es schon etwas seltsam, als ich von dem Paar hörte, das schon seit vielen Jahren verheiratet ist, aber die ganze Zeit in getrennten Wohnungen gelebt hat. Mit denen stimmt doch was nicht, war meine spontane Reaktion. Warum lassen die sich denn nicht scheiden? Heute sehe ich das anders. Völlig anders. Und ich habe es schätzen gelernt, dass wir in einem Land leben, in dem jeder auf seine Weise glücklich werden kann.
Ich habe sie über ein Dating-Portal kennengelernt. Eigentlich hatte ich mich da schon abgemeldet, aber irgendwie rutschte ihre Nachricht dennoch in meine Mailbox. Sie sah hübsch aus. Sie hatte ein gewinnendes Lächeln. Und sie wohnte nur ein paar Kilometer entfernt. Auf einen Kaffee kann man sich ja mal treffen, dachte ich mir und wir verabredeten uns für kommenden Mittwoch.
Sie war nett. Sehr nett sogar. Sie war tatsächlich hübsch, sogar noch hübscher als auf dem Foto. Aus dem Kaffee wurde ein opulentes Frühstück, das sich eine kleine Ewigkeit hinzog. Was da ganz tief in mir passiert war, wusste ich nicht. Aber ich musste sie einfach ganz fest an mich drücken, als wir uns verabschiedeten.
Das war vor gut zehn Jahren und wir sind immer noch zusammen. Das Gefühl tief in mir ist immer noch da. Irgendwie ist es, als ob wir ganz einfach zusammen gehören. Nicht, weil wir uns so ähnlich sind. Ganz im Gegenteil, wir sind sehr verschieden und manchmal fragen wir uns, was es eigentlich ist, das uns zusammenhält. Aber es ist da. Es fühlt sich gut an. Es ist sollte wohl so sein. Warum auch immer.
Wer jetzt glaubt, dass wir geheiratet haben – Fehlanzeige. Wer davon ausgeht, dass wir zumindest zusammenleben – voll daneben. Sie hat noch immer ihre kleine Wohnung inmitten der Altstadt einer der deutschen Hansestädte. Ich bin zwar umgezogen, aber ich wohne noch immer eine halbe Stunde von ihr entfernt. Dafür aber nur wenige Schritte vom Meer und ganz nah an dem Strand, den sie immer schon gerne besucht hat.
Am Anfang war ich ja ziemlich frustriert. Zusammenziehen? Nein, das wollte sie nicht. Sie lehnte es sogar kategorisch ab. Sie hatte schon einmal eine Wohnung aufgegeben, um zu einem Mann zu ziehen, erzählte sie mir. Nach wenigen Monaten war sie dann wieder allein dagestanden und musste ganz von vorne anfangen. Und das allein in einem Land, das nicht ihre Heimat war. Solche Erfahrungen machen klug und ich konnte irgendwie verstehen, dass sie nie wieder in so eine Situation kommen wollte.
Verstehen schon, aber irgendwo im Hinterkopf nagte dennoch der Gedanke, dass hier nicht alles so war, wie es eigentlich sein sollte. Wollte sie lediglich unabhängig bleiben, um sich jederzeit auf etwas Neues einlassen zu können? Misstraute sie mir, weil man Männern ja nie trauen sollte? Suchte sie in Wahrheit nur eine Freizeitbeziehung? Einen Partner für die einsamen Wochenenden, für Unternehmungen und Urlaube, für einen gelegentlichen Fick?
Während ich all diese Unsicherheiten mit mir herum trug, brachte ich meine noch laufende Scheidung zum Abschluss. Ich richtete ich mich in meiner neuen Wohnung schick ein. Ich trennte mich von meinem Haus, denn Gartenarbeit war eh nicht mein Ding und eine Hausfrau würde es in meinem Leben wohl nicht mehr geben. Also war ein Cut angesagt und für einen allein lebenden Mann war schon eine kleine Wohnung mit genug lästiger Arbeit verbunden.
Ich ging also weiter meiner Arbeit nach, verbrachte die Tage im Home Office und arbeitete meist bis spät in die Nacht. Und da ich auf niemand Rücksicht nehmen musste, konnte ich mich voll konzentrieren und verbrachte eine äußerst produktive Woche. Von Montag bis Donnerstag hieß es, Artikel schreiben, Texte übersetzen und Websites mit Inhalt füllen. Am Freitag war Wohnung aufräumen und einkaufen angesagt. Denn das Wochenende sollte ganz allein uns gehören.
Bei ihr lief es nicht viel anders. Sie war Klavierlehrerin und ihr ganzes leben drehte sich um Unterricht. Am Freitag Abend holte ich sie ab und am Montag morgen trennten wir uns wieder. Woche für Woche, Jahr für Jahr. Von Zusammenziehen war irgendwann keine Rede mehr. Ganz im Gegenteil. Ich half ihr sogar, ihre Wohnung ein gutes Stück gemütlicher zu machen, denn Innenarchitektur war schon immer mein Hobby gewesen. Denn dass sie diese Wohnung behalten wollte, schien irgendwann keine Frage mehr.
Ich weiß nicht, ob es daran liegt, dass ich in die Jahre gekommen bin und nicht mehr zu großen Veränderungen neige. Vielleicht habe ich auch ganz einfach erkannt, dass ein Leben als Single durchaus seine Vorteile hat. Auf jeden Fall begann ich, meine fünf freien Wochentage immer mehr schätzen zu lernen. Tage, die allein mir und gehörten, meiner Arbeit, meinen Projekten und den Dingen, mit denen ich mich gerne beschäftigte. Tage, die ich bis spät in die Nacht ausdehnen konnte, denn da gab es niemand, der ohne mich nicht einschlafen konnte. Tage, an denen ich aufstehen konnte, wann immer es mir beliebte - mal um sieben und mal um zehn – um danach erst mal zum Bäcker zu gehen oder mich gleich an den Schreibtisch zu setzen.
Nein, diese kleinen Freiheiten möchte ich mittlerweile nicht mehr missen. Nein, ich möchte eigentlich nicht mehr mit einer Frau zusammenleben. Ich liebe meine Internet-Bekanntschaft und sie ist ein fester Bestandteil meines Lebens geworden. Aber ich möchte nicht jeden Morgen neben ihr aufwachen und jeden Abend mit ihr ins Bett gehen. Ich möchte auch keinen Tagesablauf aushandeln, der zu unser beider Leben passt. Ich will keine ständigen Kompromisse eingehen, ohne die es letztendlich nicht geht, wenn man das ganze Leben miteinander teilt.
Ja, eigentlich will ich diese ganze alltägliche Routine nicht, die auf Dauer jede Beziehung abschleift und jedes Miteinander zu einer banalen Aneinanderreihung von Gewohnheiten macht. Ich will mich jeden Abend ein wenig nach ihr sehnen, wenn ich allein ins Bett gehe und das Kissen neben mir unberührt bleibt. Ich will mich jeden Freitag Abend erneut auf sie freuen, wenn ich sie an ihrer Musikschule abhole. Ich will Lust bekommen, wenn immer ich sie nackt sehe und nicht gelangweilt wegsehen, weil ich sie ja jeden Tag vor Augen habe.
Mir gefällt diese saubere Aufteilung zwischen Arbeit und Erholung, zwischen Alltag und Wochenende. Ich schätze mittlerweile das ständige Kommen und Gehen, der gleichmäßige Wechsel zwischen Alleinsein und Zweisamkeit. Und ich finde es spannend, immer wieder loszulassen, um sich auf einen neuen Anfang freuen zu können.
Und ich verstehe jetzt das Geheimnis dauerhafter Beziehungen, die schon schon viele Jahre bestehen und irgendwie nichts an ihrer Anziehungskraft verloren haben. Ich weiß dass es der immer gleiche Alltag ist, der alles zerstört. Es ist die tägliche Routine, die irgendwann jeden Reiz abklingen lässt. Es ist das ständige Miteinander, das aus dem früheren ich und du ein homogenes, nahtloses eingespieltes, abgestumpftes wir macht.
Mein Rat ist daher eindeutig: Ihr habt früher getrennt gelebt. Verschwendet daher keinen Gedanken an gesparte Kosten und zieht in eine gemeinsame Wohnung, nur weil „man“ das eben so macht. Baut kein Haus nach dem uralten Muster Wohnzimmer, Schlafzimmer, Küche, Bad. Plant es nach dem Motto hier wohne ich, dort wohnst du und in der Mitte treffen wir uns zu dem, was wir gerne gemeinsam tun. Pfeift auf das, was andere denken, sagen, tuscheln, urteilen und verurteilen. Gebt euch Raum für mehr Einsamkeit und genießt die nicht allgegenwärtigen Momente der Zweisamkeit. Lasst euch nicht von Arbeit und Geld verdienen das Leben diktieren, denn ein es ist zwar schön, sich etwas leisten zu können. Aber es es hat noch niemand glücklicher gemacht.